Wirtschaftsgeschichte
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Lost Places – Das ehemalige VEB Chemiewerk Coswig, Betriebsteil Rüdersdorf

Als „Lost Places“ werden historische Gebäude, Anlagen oder Gebiete bezeichnet, die von Menschen nicht mehr genutzt und verlassen wurden, die dann über die Jahre verfallen sind. Bei diesen “vergessenen Orten” handelt es sich häufig um Ruinen aus der Industriegeschichte.

Eine solche Ruine steht 30 Kilometer östlich von Berlin entfernt in Rüdersdorf, nämlich das ehemalige VEB Chemiewerk Coswig, Betriebsteil Rüdersdorf.

Bekannt war Rüdersdorf zunächst für den Kalkstein-Tagebau, der schon im 17. Jahrhundert Baumaterialien für Berlin und Brandenburg lieferte. Der Rüdersdorfer Kalkstein wurde unter anderem für das Brandenburger Tor und für das Schloss Sanssouci in Potsdam verwendet.

Mitte des 19. Jahrhunderts schrumpfte der Absatz von Baukalkstein, weil die Fundamente von Gebäuden mit zementgebundenem Beton und nicht mehr mit dem bislang verwendeten Werkstein gebaut wurden. Zement wurde zunächst aus Kreide und Ton hergestellt, später dann auch aus Mergel und Kalkstein.

Diese Tatsache führte dazu, dass Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Zementwerke in Rüdersdorf entstanden. Dazu gehörte auch das “C. O. Wegener Rüdersdorfer Portland Cementwerk Hennickendorfer Dampfziegeleien”. Dieses Zementwerk wurde von dem Ziegeleibesitzer Carl Otto Wegener gebaut und ging im Februar 1900 in Produktion.

Schachtöfen, Baujahr 1872-1877, Standort Museumspark Rüdersdorf

Laut Berliner Adressbücher gab es zumindest das Ziegelwerk schon seit 1860. Das 1900 eröffnete Zementwerk besaß “acht Schachtöfen System Dietzsche (…). 1904 wurde das Werk um zwei Drehrohröfen mit 30 m Länge erweitert, um 1910 vier Schneidersche Schachtöfen mit automatischem Scherrostaustrag hinzugefügt.” (1).

Sitz des Unternehmens war Berlin, wo Carl Otto Wegener auch lebte. Ab 1920 befindet sich der Sitz in der Pariser Straße 56 in Berlin-Wilmersdorf. Zu diesem Zeitpunkt firmierte das Unternehmen auch um und zwar in C. O. Wegener Rüdersdorfer-Portland-Cementwerk GmbH. Geschäftsführer sind Carl Otto Wegener (Fabrikbesitzer) und Otto Wegener jr. (Ingenieur).

1922 wird eine AG gegründet: “C. O. Wegener Rüdersdorfer Portland-Cementwerk – Hennickendorfer Dampfziegeleien Vertriebs-Aktiengesellschaft”. Großaktionär ist aber die GmbH. Die AG beschäftigt sich mit dem “Ankauf und Verkauf von Baumaterialien aller Art und Erwerb und Fortbetrieb von Fabriken, Unternehmungen und Geschäften der Baumaterialienbranche.”

Trotz einer starken Beeinträchtigung der Baustoffproduktion durch den verlorenen Weltkrieg, die Revolutionswirren und die Inflation wurde bei C. O. Wegener weitergearbeitet. 1923 errichteten die betriebseigenen Handwerker den 3. Drehofen (36 m lang) aus alten Bauteilen. Ein weiterer Drehofen wurde 1934 gebaut. Um diese Zeit standen zudem 19 Schachtöfen für die Produktion zur Verfügung.

Am 15.07.1938 kommt es wieder zu einer Umfirmierung in C. O. Wegener Baustoff-AG.

Die Zementwerksanlagen der C. O. Wegener GmbH befanden sich ab 1939 in Liquidation und wurden im Mai desselben Jahres von der PREUSSAG übernommen. Kriegsbedingt bauten diese zwischen 1941 und 1943 ein Tonerdelaugwerk. Dafür wurden drei Öfen abgebrochen. Aus der dort entstehenden Tonerde wurde dann kriegswichtiges Aluminium hergestellt. Auch der Bau einer neuen Zementfabrik wurde begonnen, aber nicht fertiggestellt.

Nach Kriegsende ordnete die sowjetische Besatzungsmacht die vollständige Demontage der Maschinen in allen auf dem Gelände befindlichen Werken an, darunter auch das sogenannte Z II (T-Werk), was ursprünglich der C. O. Wegener GmbH gehörte. Schon 1949 wurde von der Sowjetischen Militäradministration eine Wiedereinrichtung des ehemaligen T-Werkes befohlen, mit dem Ziel, in den leeren Hallen Düngemittel zu produzieren.

Ab 1950 erzeugt das “VEB Glühphosphatwerk Rüdersdorf” aus Kola-Apatit und Kieserit ein Magnesiumphosphat. In den 70er Jahren wurde dann versucht ein Calcium-Natrium-Phosphat für die industrielle Tierhaltung in der DDR zu erzeugen. Das gelang zunächst nicht. “Deshalb wurde ganz groß investiert und mit zwei 100 m Drehrohröfen nebst den Einrichtungen zur Abgasreinigung, Vermahlung und zum Versand eine zu rund 80% neue Verfahrensweise aus dem Boden des VEB Chemiewerk Coswig Betriebsteil Rüdersdorf gestampft. Das von da an erzeugte, hochwertige Futterphosphat wurde europaweit unter dem Namen RÃœKANA vertrieben. 1988 lag der Produktionsausstoß bei 180000 t.” (2).

Nach der Wende wurde noch bis 1999 produziert. Seit dem stehen die Gebäude auf dem Gelände leer und die Ruinen dienen seit 2000 als Drehort für diverse Kriegs- und Actionfilme sowie verschiedenen Graffiti-Künstler als Leinwand.

Quellen:
(1) Rüdersdorfer Zement GmbH (Hrsg.): 750 Jahre Kalksteinbergbau in Rüdersdorf. Rüdersdorf, 2004, S. 76
(2) Das ehemalige Chemiewerk Rüdersdorf – Aus der Werksgeschichte. In: Gemeinde Rüdersdorf bei Berlin (Hrsg.): Rüdersdorf – Berg, Bau, Kultur (Webseite), Rathaus, Aktuelles, Fotoserien, 28. 10. 2016.

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