Wirtschaftsgeschichte
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August Scherl und “Die Woche”

Die Woche

DER ERSTE ERFOLG IM ZWEITEN ANLAUF

August Friedrich Hugo Scherl wird am 24. Juli 1849 in Düsseldorf als Sohn eines Verlegers geboren, wächst jedoch in Berlin auf. Zunächst geht er bei seinem Vater in die Lehre, später dann tritt er in seine Fußstapfen. Nach einigen erfolglosen Versuchen, in der Verlegerbranche Fuß zu fassen, gelingt ihm im zweiten Anlauf sein erster Erfolg: Am 1. Oktober 1883 gründet er die Heribert Kurth & Compagnie. Ein Zuhause findet das junge Unternehmen in der Druckerei des Finanziers Georg Büxenstein in der Zimmerstraße 40/41. Als Chefredakteur wirbt er den Journalisten und Freund Hugo von Kupffer an. 1888 wird die Berliner Lokal-Anzeiger August Scherl & Compagnie KG ins Leben gerufen; im Jahre 1895 wird sie in eine GmbH umgewandelt. Ab 1900 dann firmiert das Unternehmen als August Scherl Verlag GmbH.

DER „BERLINER LOKAL-ANZEIGER“

Mit dem ab 1883 herausgegebenen „Berliner Lokal-Anzeiger – Central Organ“ feiert Scherl einen grandiosen Erfolg: Die Zeitung mit der unerhörten Startauflage von 200.000 Stück wird anfänglich kostenlos verteilt – sie finanziert sich fast ausschließlich über die darin enthaltenen Anzeigen – später wird sie gegen das geringe Entgelt von 1 Reichsmark monatlich verkauft. Statt einmal wöchentlich erscheint das Blatt ab 1885 bereits täglich, ab 1899 gar zweimal am Tag. Der Generalanzeiger wird schnell zum auflagenstärksten Blatt ganz Berlins und macht Scherl neben den etablierten Pressehäusern von Leopold Ullstein und Rudolf Mosse zum „Pressezar“. Und auch zu Hofe wird Scherls Aufstieg wohlwollend zur Kenntnis genommen, denn Scherl ist Monarchist, wie es auch sein Vater war:

„Er hielt sein Blatt nahezu parteilos, machte es jedoch ganz bewußt zu einem Propagandainstrument des Kaisertums. Er führte die steigenden Massen seiner Lokalanzeigenleser dem Kaiser zu, er machte aus dem gesichtslosen, indifferenten Kleinbürgertum treue Anhänger des Kaisertums.“

DER „PRESSEZAR“ UND DER BERLINER ZEITUNGSKRIEG

Büxenstein steigt schon 1888 wieder aus dem Unternehmen aus, zu chaotisch und verschwenderisch wirtschaftet Scherl mit dem neu erworbenen Reichtum. Trotz hoher Verbindlichkeiten wächst das Unternehmen weiter, die Banken gewähren Kredite und neue Blätter und Zeitschriften (die „Gartenlaube“, „Sport im Bild“, der „Praktische Wegweiser“ und der „Allgemeine Wegweiser“, die „August Scherl Dt. Adreßbuch-GmbH“ und die Annoncenexpedition) erscheinen unter seinem Namen. Schon bald sind die alten Räumlichkeiten nicht mehr ausreichend und benachbarte Grundstücke an der Markgrafen- und der Kochstraße werden erworben; die neue Anschrift lautet Zimmerstraße 37-41. Unbeirrt setzt Scherl seinen Weg weiter fort und geht auf Konfrontationskurs: So, wie sich Scherls Imperium genau zwischen den beiden alteingesessenen „Zeitungspalästen“ von Ullstein und Mosse breitmacht, treten seine Blätter in Wettbewerb mit dem Establishment. 1899 geht „Die Woche, Moderne Illustrierte Zeitung“ in Konkurrenz zu Ullsteins „Berliner Illustrierten Zeitung“ (BIZ), und ein Jahr später tritt die Tageszeitung „Der Tag“ an, die „Berliner Morgenpost“ vom Thron zu stoßen.

„DIE WOCHE, MODERNE ILLUSTRIERTE ZEITSCHRIFT“

Das 20. Jahrhundert bringt viele Neuerungen für das Verlagsgewerbe, die, einhergehend mit sinkenden Preisen, ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

„Der neue Pressetyp konnte entstehen, weil die Papierpreise von 1870 bis 1900 bis auf ein Viertel gesunken, schnelle Setzmaschinen und der kostengünstige Rotationsdruck erfunden worden waren. (…) Diese Umstände (…) gestatteten es, mit geringerem Personal und Kosten eine höhere Auflage in kürzerer Produktionszeit als bisher zu drucken und zu verbreiten.“

Das neuartige Konzept der „Woche“ besteht darin, Bild und Schrift möglichst eng miteinander zu verknüpfen; sie besteht meist aus etwa 40 Seiten und bedient sich ganz der Macht der Bilder: Der Titelseite folgen in der Regel einige großformatige Anzeigen, dann halbseitige Photographien mit kurzen und prägnanten Unterschriften; erst danach folgt der redaktionelle Teil. Gut zwei Drittel der Zeitung bestehen aus Werbung und sie ist für 25 bis 40 Pfennige erhältlich.

Ein besonderer Faktor für die Erfolgsgeschichte der „Woche“ wohnt in der Friedrichstraße: Der Fotograf und Tüftler Ottomar Anschütz. Diesem ist es gelungen, den neuartigen „Rolltuch-Schlitz-Verschluss“ für Kameras zu entwerfen, der zum ersten Mal sehr kurze Belichtungszeiten ermöglicht. Diese Technik macht Anschütz zum Urahn der Pressephotographen, denn sie ist hervorragend dazu geeignet, bewegte Ereignisse wie Pferderennen oder kaiserliche Paraden festzuhalten. Fortan werden Scherls Photographen heimlich bei Anschütz ausgebildet und mit seinen Kameras ausgestattet.

Ein weiterer Geniestreich Scherls ist das Engagement des Groschenroman-Schriftstellers August Ewald König. Durch den Abdruck von Fortsetzungsromanen – später auch von anderen Autoren – gelingt es, ein großes Publikum dauerhaft an sich und seine Presseerzeugnisse zu binden. So schafft es die „Woche“ sich gegen die „BIZ“ zu behaupten, sie zwischenzeitlich sogar zu überrunden. Ein Zustand, der aber nicht von Dauer sein soll. Doch an der „Woche“ liegt es nicht, dass Scherls Imperium den „Zeitungskrieg“ mit Ullstein und Mosse letztendlich nicht überlebt.

DER ANFANG VOM ENDE …

Scherl, schon immer als exzentrisch und für seine Verschwendungssucht bekannt – sei es auf der Pferderennbahn, durch den Kauf einer Villa oder eines Adelstitels für seine Frau – ist des Öfteren Gesprächsthema Nummer Eins in Berlin. Der Niedergang von Scherls Reich wird 1911 evident, als ausgerechnet der große Rivale Mosse die finanzielle Schieflage ausnutzt, um Anteile seines Konkurrenten zu erwerben. Auf diesem Wege gelingt zwar die Sanierung, aber Scherl ist fortan nicht mehr Herr im eigenen Haus. 1913 stiftet Scherl Unruhe bei Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg. Er streut Gerüchte, dass ausgerechnet der jüdische Mosse-Konzern am Kauf der restlichen Anteile an Scherls konservativen und monarchistischen Verlag interessiert ist. Großes Unbehagen macht sich zu Hofe breit. Und so erwirbt der eigens dafür gegründete „Deutsche Verlagsverein“ ein Jahr später den Scherl-Verlag. 1916 geht der Verlag an seinen neuen Besitzer: Den Vorsitzenden des Direktoriums der Friedrich Krupp AG., Alfred Hugenberg.

Am 5. Februar 1914 gibt Scherl die Geschäftsführung ab. Sieben Jahre später, am 18. April 1921, verstirbt er in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Luisenstädtischen Friedhof. Der Journalist und Buchautor Walther Kiaulehn schreibt über seinen Tod:

„Ein paar Jahre nach dem ersten Weltkrieg starb August Scherl, weil er sich an einem Stein für die Vogeltränke verhoben hatte. Er war nicht verrückt geworden, wie man vorausgesagt hatte, nur die Welt war inzwischen aus den Fugen geraten.“

… UND DAS ENDE VOM ENDE

Unter Hugenberg entwickelt sich der Scherl-Verlag – der nur noch dem Namen nach existiert – zum Sprachrohr der Deutschnationalen Partei. Fortan wird die Mär von der „Dolchstoßlegende“ verbreitet, Rassenhass gegen Juden und Farbige geschürt und die Ideologie Adolf Hitlers verharmlost.

„Wahrscheinlich hatte Hugenberg die Absicht, Hitler vor den Wagen der Deutschnationalen Partei zu spannen. Er merkte zunächst gar nicht, daß Hitler ihn vor seinen Parteiwagen gespannt hatte, und als er es merkte, war es zu spät.“

Mit der Machtübernahme Hitlers muss auch der Hugenberg-Konzern Stück für Stück die Kontrolle an die Nationalsozialisten abtreten, eben jener Bewegung, der Hugenberg zur Macht verholfen hat. Noch während des II. Weltkrieges wird die Produktion der ehemaligen Scherl-Zeitungen – aus Papiermangel – eingestellt. Auch die Konzern-Gebäude in der Zimmerstraße überleben den Krieg nicht, der das große Berliner Zeitungsviertel in Staub und Asche verwandelt.

Quellen der Zitate

1, 3 und 4: KIAULEHN, WALTHER: Berlin. Schicksal einer Stadt. München: H.C. Beck, 1997 (Erstausgabe 1958). URL: Link

2: SÖSEMANN, BERND: Berlin im Kaiserreich. Stadt großer Zeitungen und Verleger. In: BERBIG, ROLAND/D´APRILE, IVAN-M./PEITSCH, HELMUT/SCHÜTZ, ERHARD (Hg.): Berlins 19. Jahrhundert. Ein Metropolen-Kompendium. Berlin: Akademie Verlag, 2011, S 215-228. URL: Link

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