Aktuell, Wirtschaftsgeschichte
Schreibe einen Kommentar

Geschichte von Handel und Gewerbe im Lützow-Viertel (7): Möbel Hübner

Unter der Rubrik “Handel und Gewerbe im Lützow-Viertel” hat Prof. Dr. Paul Enck seit dem 04.07.2023 sechs einzelne Unternehmen vorgestellt, die sich ab 1830 im Lützow-Viertel niedergelassen haben. Als letzte Unternehmen dieser Serie stellt er Ihnen heute die Firma Möbel Hübner vor. Die Langversion der Geschichte können Sie im Kiez-Blog mittendran – Nachrichten für Tiergarten-Süd lesen.

Dieser Text war längst fertig, als mich eine Nachricht aus den Hause Türklitz, den heutigen Eignern der Firma Möbel-Hübner erreichte, wonach die Familie Türklitz aus Brandenburg an der Havel wohl abstamme “von jüdischen Stoffhändlern/-herstellern, die ca. im Jahr 1650 auf den Namen Tuchelitz getauft wurden“. Das war neu, bislang nirgendwo beschrieben und eine weitere Recherche wert, die mich – analog, nicht etwa digital – in das Domstifts-Archiv nach Brandenburg brachte, um dort die Ortsfamilienbücher Brandenburgs einzusehen (1). Die waren in den 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts von einem Brandenburger Historiker (Ernst Haug) ausgewertet und der Nachwelt in vier handgeschriebenen Karteikästen hinterlassen worden. Diese Karteikarten wurden wiederum in den 70er Jahren von einem anderen Zeitgenossen (Hartwick Quabeck) in Maschinenschrift übertragen und sind in Brandenburger Domstiftarchiv einsehbar, ebenso wie die originalen Karteikarten und die inzwischen digitalisierte Liste der transkribierten Karten. Um es kurz zu machen: nach meinem Dafürhalten stimmt diese Abstammungshypothese der Türklitz nicht, sie lässt sich mit den zugänglichen Daten nicht belegen. Die ganze Argumentationskette ist leider zu lang, um sie hier dazulegen.

Bild 1: Eintrag Törckelitz im Bürgerbuch für 1729

Wenn also Jacob Tuchelitz nicht der Vorfahre der Familie Türklitz ist, woher stammt die Familie dann? In den bis 1570 zurückdatierenden Bürgerlisten Brandenburgs und den Kirchenbüchern von Sankt Katharinen und dem Dom Peter und Paul taucht der Name Törckelitz (oder dessen Variationen: Türckelitz, Tirkelitz, Türkelitz, Turklitz, Türklitz) erstmals 1729 auf: Ein Andreas Törckelitz, Zeugmacher aus Belzig, erwirbt in der Brandenburger Neustadt das “Stapelsche Haus” und wird am 17. Juni 1729 Bürger der Stadt. Nehmen wir ihn zum Ausgangspunkt der Familiengeschichte, kennt die Genealogie der Türklitz insgesamt zehn gesicherte Generationen (Bild 2). Und in Belzig ist möglicherweise der Vater dieses Andreas Törckelitz ein Martin Türkeliss, Ziegelmeister, der dort am 23. August 1703 verstarb, aber das ist nicht gesichert.

Bild 2: Die Familie Türklitz aus Brandenburg (Havel), wie sie sich aus unserer Rekonstruktion darstellt.

Die Herkunft der Hübners aus dem Saale-Kreis

Eine nicht so lange Kette an Vorfahren kennen wir für die Familie Hübner, deren letztes Glied, Gertrud Hübner (1914-2017), im Jahre 1935 Arno Türklitz heiratete – die Hübners waren seit etwa 1880 in der Stadt, und lebten immer hier im Viertel oder in der Nähe. Genealogisch rückwärts führt deren Spur nach Schwerz im Saalekreis, aber die ist hinsichtlich der vorhandenen Kirchenbücher digital nicht und analog nicht leicht zugänglich.

Angefangen hat es mit dem Schreinermeister Friedrich Wilhelm Hübner, geboren um 1850 in Schwerz, Saalekreis, Sohn des dort verstorbenen Landwirts Hübner und dessen Ehefrau, der nach seiner Heirat mit Helene Hübner geborene Streicher aus Mücheln (Kreis Querfurt) um 1880 nach Berlin kam und zunächst gemeinsam mit dem Tischler W.Schenck eine Tischlerei und Möbelhandel in der Lützowstraße 14 eröffnete – hier war zuvor die Tischlerei Bachmann ansässig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt wohnten Wilhelm Hübner und seine Frau in der Alten Jacobstraße 135. Nach drei Jahren (1882) endete die Schenck-Hübner-Partnerschaft, Wilhelm Hübner eröffnete seine eigene Tischlerei in der Körnerstraße 4 und zog an die gleiche Adresse. Hier kamen in der Folge drei Kinder zur Welt, am 25. Oktober 1882 Karl Friedrich Wilhelm, am 24. November 1884 Christiane Charlotte Margarethe und im Jahr 1890 Julius Friedrich Wilhelm. Und wie in Berlin so üblich zu diesen Zeiten, änderte sich mit der Größe der Familie deren Wohnung, sie zog zunächst in die Körnerstraße Nr. 21 (1884), dann in die Nr. 10 (1885).

Bild 3: Schaufenster der Möbelhandlung Hübner in der Steglitzer Straße 27 im Jahr 1908

Für die nächsten 10 Jahre änderte sich kaum etwas, aber 1897 verlegte Wilhelm Hübner die Tischlerei und Wohnung in die Bülowstraße 61, und eröffnete unter dem Namen seines Sohnes Karl im gleichen Jahr eine Möbelhandlung in der Steglitzerstraße 27 (heute: Pohlstraße 58) (Bild 3), in der zuvor noch die Leipziger Klavierbau-Firma Ibach ihre Pianos verkauft hatte – der gehört auch das Haus, noch bis 1932. Karl war zu diesem Zeitpunkt noch keine 18 Jahre alt.

Karl Hübner heiratete am 17. März 1908 Auguste Emma Helene Gauert, geboren am 17. August 1887 in Rosenthal, Tochter des Bauerngutsbesitzers Wilhelm Gauert und dessen Ehefrau Emma, geborene Noack. Das Ehepaar hatte nur ein Kind, Gertrud, geboren am 2. Februar 1914. Da war die Firma bereits (ab 1. März 1913) in die Genthiner Straße 37 umgezogen, der finalen Adresse von “Möbel Hübner”.

Die Geschichte wäre vermutlich die einer “normalen” Handwerks- und Kaufmannsfamilie geblieben, hätte nicht Gertrud Hübner 1935 Arno Türklitz getroffen und geheiratet. Die Möbelschreinerei Albert Türklitz (1841-1890) und das Möbelgeschäft seines Bruders Karl Türklitz (1835-1915) in Brandenburg (Havel) hatte eine vergleichbare Geschichte, aber Emil Türklitz (1871-1954) beerbte seinen Onkel Karl und seinen Vater Albert, verband die geschäftlichen  Aktivitäten beider Betriebe und expandierte nach Berlin: ab 1933 gab es eine Filiale des Möbelhandels Emil Türklitz an der Potsdamer Straße 89 (nord-östliche Ecke der Kreuzung von Potsdamer und Aldenhovenerstraße), die sein Sohn Arno leitete. Der Rest ist Geschichte (2).

Bild 4: Briefkopf der A. Türklitz GmbH von 1937 (BBWA, S2/13/432,4)

Wachstum, Wachstum, Wachstum

Bild 5: Die Stadtautobahn am Hübner-Hochhaus: Foto des Bebauungsmodells aus der Welt am Sonntag (WamS) vom 14. April 1963 (2)

Wenn eines die Firma Möbel Hübner unter der Leitung von Arno Türklitz auszeichnet, dann ist es die wundersame Vermehrung von Immobilien, bis schließlich der ganze Block zwischen Magdeburger Platz, Magdeburger Straße, Steglitzer Straße und Genthiner Straße zum Hübner-Imperium gehörte – und etliche Liegenschaften darüber hinaus. Die meisten Zugewinne sind vermutlich dem Umstand zu verdanken, dass nach dem 2. Weltkrieg die Grundstücke weitgehend geräumt waren, einige Eigentümer vermutlich den Krieg nicht überlebt hatten und deren Erben daran interessiert waren zu verkaufen. Dies insbesondere deshalb, weil in den 60er Jahren die Stadt plante, die Pohlstraße zu einem Teil der Südtangente der Stadtautobahn zu machen (3), und die sollte direkt am neuen Hochhaus des Möbelhauses Hübner vorbeiführen.

Bild 6: Stammhaus von Möbel Hübner in der Genthiner Straße, 1961 (BBWA U5/03/1029,1)

Emil Türklitz (1871-1956), so erzählte sein Sohn Arno (1911-1993) in einer Festrede im Jahr 1967 anlässlich der Eröffnung dieses Hochhauses, vertrat das Credo, “daß man Nachbarhäuser nur alle 200 Jahre kaufen kann und es in jedem Fall auch tun soll” (4). Nach einem solchen Motto scheint die Familie nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Berlin gehandelt zu haben, als es um den Erwerb von Immobilien in der Umgebung des Stammhauses in der Genthiner Straße ging – auch schon vor und während des Krieges. Das hat nach dem Krieg, als die Verantwortung für die Geschäfte von Möbel Hübner ausschließlich in den Händen von Arno Türklitz lag (sein Schwiegervater war 1945 in den allerletzten Kriegstagen durch Granatsplitter ums Leben gekommen), zu zwei Wiedergutmachungsprozessen geführt, die verhältnismäßig reibungslos und still verlaufen sind, ganz im Gegensatz zu den an anderem Ort beschrieben Verfahren in der Wiedergutmachung z.B. der Familie Fürstenberg (5). In beiden Verfahren (6,7) kam es zu schnellen Vergleichen, in denen Hübner/Türklitz den aktuellen Immobilienwert den früheren Eigentümern erstattete und die Kosten des Verfahrens übernahm.

Weitere Aspekte, die wir in Archiven nachvollziehen konnten, betreffen den Verbleib des Türklitz´schen Immobilien- und Gewerbebesitzes in Brandenburg (Havel) während der sowjetischen Besatzung nach 1945 und die Enteignung durch die DDR 1949. Ein anderer Aspekt geht unmittelbar aus diesen hervor: Der Generationenwechsel von Emil Türklitz auf Arno Türklitz, der keineswegs reibungslos verlaufen ist, wie das obige Zitat vielleicht vermuten ließe. Aber diese Geschichten würden den Rahmen hier sprengen und bleiben einer späteren Veröffentlichung vorbehalten.

Literatur

  1. A. Ackermann. Geschichte der Juden in Brandenburg a. H. Verlag von Louis Lamm, Berlin 1906. Siehe dort Anmerkung 51 (Seite 60f): die Juden wurden 1573 “auf ewige Zeiten” verbannt, aber bereits 1650 wurde ihnen wieder erlaubt, Jahrmärkte in den Städten zu besuchen.
  2. Möbel Hübner in der Genthiner Straße. Firmenbroschüre, Eigendruck ohne Datum.
  3. Die Welt vom 14. April 1963 (Artikel von G.Wegner: Jetzt Grundstein für das erste Möbelhochhaus)
  4. Arno Türklitz: Möbel Hübner 1945 – 1967. Geschichten und Geschichte. Vortrag anlässlich der Eröffnung des Möbelhauses (Hochhaus) 1967. Broschüre, Eigendruck o.J. Im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv 3/35254 (Zitat Seite 4).
  5. https://www.mittendran.de/die-familie-fuerstenberg-teil-2/
  6. Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 025-01 Nr. 1108/50
  7. Landesarchiv Berlin, Akte B Rep. 025-02 Nr. 4476/50

Abbildungen

Bild 1: Eintrag Törckelitz im Bürgerbuch für 1729 (Kopie aus der Transkription der Bürgerbücher-Karteikarten von E.Haug durch H.Quadbeck im Jahr 1998) (Domstiftsarchiv, Signatur: NLH 8 und 10).

Bild 2: Die Familie Türklitz aus Brandenburg (Havel), wie sie sich aus unserer Rekonstruktion darstellt. Hier sind nur die jeweils männlichen Nachkommen, die die Generationenfolge sichern, dargestellt, nicht alle Geschwister der jeweiligen Generation. Man beachte die unterschiedlichen Schreibweisen des Nachnamens in früheren Zeiten.

Bild 3: Schaufenster der Möbelhandlung Hübner in der Steglitzer Straße 27 im Jahr 1908 (Fotograf unbekannt, aufgenommen in der Fotoausstellung im Möbelhaus Hübner am 13. Oktober 2023). Man sieht rechts des Eingangs noch das Firmenschild der Firma Ibach über dem Fenster.

Bild 4: Briefkopf der A. Türklitz GmbH von 1937 (BBWA, Bestandergänzende Sammlung, S2/13/432,4)

Bild 5: Die Stadtautobahn am Hübner-Hochhaus: Foto des Bebauungsmodells aus der Welt am Sonntag (WamS) vom 14. April 1963 (2). Zwar wurde das Hochhaus realisiert, aber die Südtangente nicht.

Bild 6: Stammhaus von Möbel Hübner in der Genthiner Straße, 1961 (BBWA, Bildarchiv der Philipp Holzmann AG/Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V., U5/03/1029,1).

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert