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Fotografin Petra Lehnardt-Olm auf Spurensuche

Ein etwas ungewöhnliches Projekt zur Sichtbarmachung der Zeugnisse einstiger Industrieentwicklung im Berliner Randbezirk Reinickendorf hat begonnen. Mit seinen sehr gut besuchten Industriespaziergängen hat das BBWA bereits zahlreiche Objekte der Reinickendorfer Industriekultur ins öffentliche Bewusstsein gerückt, hat sie in Anziehungspunkte verwandelt und neben Berliner Interessierten auch Auswärtige und Touristen angezogen.

Wenig berücksichtigt wurde bisher der ästhetische Aspekt der Industriebauten über die reine Architektur hinaus, durch die sich das wachsende Interesse an den Industriekulturangeboten noch erhöhen lässt. Eine Fotoausstellung wurde hierfür das Medium der Wahl. Die Ausstellung wird den Titel „Arbeitsspuren – Lebensspuren“ erhalten und die Reinickendorfer Industriekultur aus künstlerisch-visueller Sicht präsentieren. Mithilfe der Fotokunst und erläuternden Texten soll der ästhetischen Aspekt der Industriekultur herausgestellt werden, wobei sich der Blick einerseits auf die Geschichte der Industrieorte und Gebäude – quasi das ehemalige Geschehen hinter der Fassade – und andererseits auf die heutige alltägliche (Nach)-Nutzung fokussiert. Welche sichtbaren Spuren setzen diese beiden Pole in Verbindung?

Berlin-Reinickendorf 2012-04 (Foto: Petra Lehnardt-Olm)

Zwei Projektmitarbeiterinnen haben ihre Spurensuche aufgenommen: Die Künstlerin und Fotografin Petra Lehnardt-Olm ist auf der Suche nach Objekten mit markanter Architektur und deren Spuren der Arbeit, wie alte Gleise, ausgetretene Treppen oder Wandhalterungen mit vergessenem Sinn etc. Gleichzeitig ist sie dabei, die Spuren der Nachnutzung im Hier und Jetzt zu identifizieren (Graffiti, Neumöblierung, Pflanzenwildwuchs, Neuinterpretation ursprünglich anders gedachter Details), die das alltägliche Leben heute ausmachen. Ute Pothmann, Biografin und Historikerin, wird mit erläuternden und erklärenden Informationen Ort, Zeit, Entstehung, Nutzung und Nachnutzung in Beziehung bringen und so die Möglichkeit schaffen, die Ausstellungsobjekte ganzheitlich zu vermitteln. Für diese Begleit- und Hintergrundinformationen steht das Wirtschaftsarchiv mit seinen Quellen parat. Wir werden Ute Pothmann in einem der nächsten Archivsiegelbeiträge vorstellen.

Petra Lehnardt-Olm (Foto: PLO)

Heute stellen wir unsere Projektmitarbeiterin Petra Lehnardt-Olm vor, die die Ausstellung mit 12 Motiven bestücken wird, welche aus fotografisch-künstlerischem Blickwinkel unbekannte Teil-Ansichten auf bekannte Orte zeigen werden. Die Fotografin wird die Rolle der Mittlerin übernehmen, die mit detailliertem Blick auf sichtbare Spuren aus der einstigen (Industrie-)Arbeit und sichtbare Spuren des (heutigen) Lebens hinweist. Petra Lehnardt-Olm ist freischaffende Künstlerin und hat seit 1988 Ausstellungen in Frankreich, Polen und Deutschland veranstaltet sowie in Europa, Afrika und Mexiko gearbeitet. Die Sichtbarkeit und Ausdrucksform von Lebenskreisläufen zieht sich als  „roter Faden“ durch ihre künstlerische Arbeit. Immer auf der Suche nach geeigneten Ausdrucksmitteln, hat sie sich neben der  Malkunst und Fotografie zusätzliche Techniken angeeignet, um das jeweils zum Projekt passende Medium zu finden.

Aktuell ist sie auf Fotografie fokussiert. Hier arbeitet sie mit vorhandenem Licht und einmaligen Belichtungen. Motive werden gefunden. Nichts ist inszeniert. Ein Stativ benutzt sie nur in Ausnahmefällen. Die Reduzierung der technischen Mittel macht den Blick frei für den Ort. Ihre Foto-Ausstellungen entstanden als Auftragsarbeiten sowie als Projekte im Bereich der Kultur-, Bildungs- und Kunstförderung.

Brauerei Eisenach 2018 (Foto: Petra Lehnardt-Olm)

Das zentrale Leitmotiv ihrer Werke deckt sich weitestgehend mit der Rolle des Archivs im Netzwerk der Akteure, die sich dem Engagement und der Erhaltung der Industriekultur verschrieben haben, zu denen auch das Berliner Zentrum Industriekultur (BZI) von der Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie die Stiftung Deutsches Technikmuseum gehören. Alle wissen, dass die „hochkarätigen Zeugnisse einstiger Industrieentwicklung zunehmend große Potenziale für die Profilierung Berlins als europäische Metropole“ bieten. Doch die „Story behind the Story“, also die Geschichte hinter der markanten Architektur, kann nur ein Archiv liefern, dass aufgrund der Akten- und Quellenlage fähig ist „hinter die Fassaden, hinter die Kulissen und unter die Kosmetik“ zu schauen. In diesem Sinne könnte das Zitat von Petra Lehnardt-Olm zu ihrem fotografischen Werk nicht passender für unser gemeinsames Projekt sein:

„Ich sehe es überall.
Es liegt vor mir. Zu jeder Zeit.
Das Vielschichtige.
Das Spannende. Das Licht.
Das Schlichte. Das Einzigartige.
Hinter den Kulissen.
Unter der Kosmetik.
Es ist wirklich und hat Bestand.
Konzentriert als Bild.
Es zieht mich an, findet mich.
Ich gehe dicht ran, um genau zu SEHEN,
was ich intuitiv spüre“.

Dass die Künstlerin einen Blick für unterschiedliche Facetten besitzt, zeigen ihre eigenen vielfältigen Lebensstationen. Sie zählt Zeiten als Busfahrerin und Motorradfahrerin zu ihrer Biographie, sieht sich selbst als Nomadin mit festem Wohnsitz in Berlin. Sie hat einen Gesellenbrief in Orthopädie-Technik sowie einen Abschluss an der Media-Design-Hochschule Berlin und blickt auf Arbeiten im Elektromaschinenbau sowie in der Altbausanierung zurück.

Berlin 2016 (Foto: Petra Lehnardt.Olm)

Interview mit der Künstlerin

In einem projektbezogenen Interview sprach unser Geschäftsführer Björn Berghausen mit der Fotografin Petra Lehnardt-Olm :

Björn Berghausen:
Was macht das Projekt interessant für Sie?

Petra Lehnardt-Olm:
Es verbinden sich für mich ganz viele spannende Aspekte: Malerische Zeitspuren treffen auf nüchterne technische Details, Industriegeschichte trifft auf Phänomene unserer Zeit, Natur zeigt sich unkontrolliert in urbanen Strukturen. Die sichtbare Vielschichtigkeit, wie ich sie stellenweise an den alten Industriestandorten vorfinde, ist für mich lebendige Geschichte. Es berührt und fasziniert mich auf einer Ebene jenseits konkreter Fakten. Das Vergangene ist eingebunden in die gelebte Gegenwart und somit Teil von ihr. Und es verändert sich. Permanent. Nichts lässt sich festhalten. Das Foto ist nur der eine Moment aus dem einen Blickwinkel heraus. Alles andere was ich wahrnehme, kann ich nur in Erinnerung behalten. Und diese Lebendigkeit macht es so spannend für mich.

Björn Berghausen:
Haben Sie bereits Objekte identifiziert, die sich für unser Projekt eignen?

Petra Lehnardt-Olm:
Sehr anschaulich und verdichtet erlebe ich die beschriebenen Phänomene gerade auf dem Gelände der ehemaligen Eisengießerei Winkelhoff in der Kopenhagener Straße. Hier habe ich zu Beginn meiner Standortbegehungen noch alte, jahrelang unberührte Winkel gefunden. Aktuell finden hier Sanierungsarbeiten und damit fast täglich große Veränderungen statt. Mein Fokus richtet sich z.B. auf Sichtachsen und Spiegelungen, die unerwartete Situationen und Dinge zusammenführen oder gar auf den Kopf stellen; scheinbar nebensächliche Details; Arbeits- oder Zeitzeugen in Form spannender Farbspiele oder sorgsam geordnete Alltagsgegenstände, die durch ihre Konzentration an diesem Platz fast inszeniert wirken. Weitere Objekte der Ausstellung mit abgeschlossenen Verhandlungen werden z.B. der Borsigturm und die Halle der ehem. Fa. Hugo Achcenich (heute Stabotec) sein.

Björn Berghausen:
Haben Sie bereits alle Ansprechpartner, die für die ausgewählten Objekte zuständig sind?

Petra Lehnardt-Olm:
Bei einigen Objekten laufen die Verhandlungen noch. Die Recherche nach den für das Objekt jeweils verantwortlichen Ansprechpartnern sowie die Regelung der Fotorechte mit den Besitzern und Mietern nehmen in diesem Projekt eine größeren Raum ein, als ich erwartet hatte. Und diese Menschen haben natürlich auch ohne mein Anliegen genug Arbeit. Umso mehr freue ich mich über die große Bereitschaft einiger Firmen und Immobilienverwaltungen, dieses Projekt zu unterstützen und auch das entgegengebrachte Vertrauen, mich frei an diesen Orten bewegen zu dürfen.

BMW-Werk Eisenach 2018 (Foto: Petra Lehnardt-Olm)

Links

Petra Lehnardt-Olm

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Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv

Anklam 2015 (Foto: Petra Lehnardt-Olm)

alle Fotografien: Petra Lehnardt-Olm

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