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Aus den Prüfungsniederschriften der IHK Berlin – eine politische Prüfungsfrage

Am 21. März 1962 legte Frieda K. ihre Abschlussprüfung im Lehrberuf Einzelhandelskaufmann vor der IHK Berlin ab. Sie hatte am 1. April 1959 ihre Lehre beim Schokoladenspezialisten Hugo E. Walter KG an der Burgemeisterstraße 12 in Tempelhof begonnen, zu einer Zeit also, da die Berliner sich schon an die Sektoren gewöhnt hatten, aber die Stadt noch nicht physisch geteilt war.

Am 13. August 1961 wurde die Mauer errichtete und trennte fortan den Ost- und den Westteil der Stadt. Dieser Vorgang bewegte die Berliner – und nahm auch Gestalt in der Lehrlingsausbildung an. Frieda K , gerade 18 Jahre alt geworden, erhielt für ihren frei zu verfassenden Aufsatz das Thema: „Die Mauer trennt Berlin, doch nicht die Menschen”. Ihre Aufgabe war also keineswegs die Frage, ob die Mauer ihre beabsichtigte Wirkung entfaltete, die Menschen zu trennen, sondern die Unwirksamkeit der Mauer zu begründen. Der Auftrag für den Text war politisch, und damit eigentlich nicht angemessen.

Sie schrieb einen Aufsatz voller Klischees, der tief blicken lässt :

aufsatz"Die Mauer trennt Berlin, doch nicht die Menschen" (1962) (BBWA K 1/2/40)

Aufsatz “Die Mauer trennt Berlin, doch nicht die Menschen” (1962) (BBWA K 1/2/40)

„Berlin ist seit dem zweiten Weltkrieg geteilt. Der eine Teil West-Berlin, der andere Teil Ost-Berlin oder DDR. Bis zum 13. August 1961 durften die Ostberliner ihre Angehörigen im Westen Berlins besuchen. Seit dem 13. August 1961 ist das nicht mehr möglich, denn die Mauer und der Stacheldraht hinderten die Bevölkerung in der DDR daran. Unsere Angehörigen dürfen nur noch schreiben. Sie sind eingesperrt und von der übrigen Welt abgeschnitten. Flüchtende werden von der Grenzwache, die auch Deutsche sind, rücksichtslos beschossen. Sie werden bestraft, wenn sie West-Berliner Sendungen im Radio hören.

Wir in West-Berlin brauchen keine Angst vor Spitzeln oder vor Bestrafung zu haben. Wir brauchen nicht stundenlang anzustehen, wenn wir einkaufen gehen. Wir sind frei.

Aber trotz Mauer, Stacheldraht und bewaffneter Grenzwächter bleiben wir ein Volk, bleiben wir Deutsche und sind unzertrennlich. Man kann wohl die Stadt Berlin trennen, aber nicht die Menschen, die in Berlin wohnen.”

Prüfungsniederschriften im Wirtschaftsarchiv

Die IHK Berlin hat dem Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv die Niederschriften über Abschlussprüfungen der Jahre 1962 bis 1995 übergeben, die nicht mehr der Aufbewahrungspflicht unterliegen, wohl aber noch immer von vielen ehemaligen Lehrlingen genutzt werden.

Aus den Prüfungsanmeldungen nämlich gehen die Lehrzeiten hervor, die für die Rentenberechnung notwendig sind. Wer seine Unterlagen (v.a. den Lehrvertrag) verloren hat, kann sich an das Wirtschaftsarchiv wenden und hier (meistens) einen Nachweis über die Lehrzeit erhalten. Die Lehrverträge sind hier allerdings nicht archiviert.

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[Der Name der Auszubildenden wurde geändert]

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