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“Was machen Sie da eigentlich im Keller?” – Resümee meiner Ausbildung im BBWA

Am 10. Februar 2020 ist hier der Blogbeitrag zum Beginn meiner Ausbildung am 01.02. erschienen. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen und ich darf mich seit Ende Januar 2022 „Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste“ in der Fachrichtung Archiv nennen.

Bei den Vorüberlegungen zu diesem Artikel drängten sich mir einige Fragen besonders auf: Was ist eigentlich in den vergangen 24 Monaten passiert – was habe ich alles in der Theorie gelernt und in der Praxis angewandt? Welche Schwierigkeiten gab es? Und wie häufig bin ich mit der Frage “Was machen Sie da eigentlich im Keller?” konfrontiert worden? Denn so oder so ähnlich ist oft die Reaktion auf die Aussage, dass man in einem Archiv arbeitet. Und gleichzeitig war das der Titel einer Aufgabe im Fach MI (Medien- und Informationsdienste) in der Berufsschule.

Das Ergebnis dieser Aufgabe sollte eine Powerpoint-Präsentation zum Thema “Erschließen” sein – eine der archivischen Kernaufgaben. Ganz kurz auf den Punkt gebracht ist damit das Zugänglichmachen des Archivguts für die Öffentlichkeit gemeint. Das ist die Kurzversion eines natürlich viel komplexeren Vorgangs. Was alles dazugehört und wie man die einzelnen Schritte bearbeitet, wurde mir über die Theorie während der acht Berufsschulblöcke im OSZ Louise Schröder in Lichterfelde-Süd bzw. im Homeschooling vermittelt. Anschließend durfte ich mit großer Freude und Neugier das umfangreiche neue und interessante Wissen rund um die Archivarbeit im Archivalltag in “meinem” Archiv umsetzen und anwenden. Ausbildungsbetriebsspezifische Inhalte und was neben der Theorie noch fehlte, wurde mir mit viel Geduld von meiner Ausbilderin Frau Estler-Ziegler beigebracht. Außerdem stand mir Herr Berghausen, der Leiter des Archivs, bei Fragen immer hilfsbereit zur Seite.

 

Nicht unerwähnt bleiben sollte die Pandemie, die meine Ausbildung zum Teil beeinflusst hat. Das “Fräulein Corona” hat zwar manchen Projekten einen Strich durch die Rechnung gemacht, wodurch jedoch alle Beteiligten gezwungen waren, dem Umstand mit flexiblen und teilweise kreativen Lösungen zu begegnen – SchülerInnen, LehrerInnen und KollegInnen.

So konnte auf schulischer Ebene beispielsweise leider die einwöchige Seminarfahrt im 1. Ausbildungsjahr nicht stattfinden. Ebenso wenig wie Exkursionen in andere Archive oder ein Besuch einer öffentlichen Gerichtsverhandlung z.B. beim Arbeitsgericht im Rahmen des Faches Wirtschaftslehre. Besonders schade war, dass ich aufgrund der Pandemie nicht die Möglichkeit hatte, ein Praktikum in einer Bibliothek zu absolvieren, als Ergänzung zum fachrichtungsübergreifenden Unterricht im 1. Ausbildungsjahr.

Erschwert wurde die theoretische Ausbildung durch Lockdowns und Teil-Lockdowns. Mein erster Schulblock im März 2020 fand ausschließlich zu Hause statt. Sämtliche Kommunikation bezüglich der Aufgaben und Inhalte fand per Mail statt, später dann zusätzlich über digitale Schulplattformen und zahlreichen Video-Meetings, in denen anstehende Aufgaben besprochen wurden, Fragen geklärt werden konnten und schließlich ausgewertet wurden, die den normalen Unterricht natürlich nicht ersetzen konnten. Telefon und WhatsApp waren natürlich mit von der Partie. Besonders die Partner-Projekte, also Aufgaben, die zu zweit oder mit mehreren Mitschülern gemeinsam erarbeitet werden sollten, stellten mitunter eine große Herausforderung während des Teil-/Lockdowns dar, da man nicht beieinander saß, um sich zu besprechen, sondern jeder an seinem teilweise provisorisch eingerichteten Arbeitsplatz zu Hause. Aber alle haben irgendwie versucht, das Beste aus dieser Situation zu machen. Von ausschließlich Homeschooling über Teilpräsenz-Unterricht mit Teilung der Klassen bis zur Vollpräsenz, in denen geforderte Mindestabstände oft nicht eingehalten werden konnten, war alles dabei. Die digitalen Lösungen, die durch die Schule bereitgestellt wurden, wurden im Laufe der Zeit immer praktikabler und anwendungsfreundlicher.

BBWA S2/07/1891 + 1218 + 4484

Auch im Archiv wurden kreative Lösungen gesucht und gefunden. Während des Teil-Lockdowns haben sich alle Mitarbeiter tageweise abgewechselt, so dass sich an jeweils drei Tagen der Woche nur je zwei Mitarbeiter gleichzeitig im Archiv aufgehalten haben, dazwischen war Homeoffice angesagt, so gut es in unserem Beruf eben geht. Viele der archivischen Tätigkeiten sind nicht im Homeoffice durchführbar. Trotzdem haben alle entsprechend ihrer Aufgabenbereiche Aufgaben zu Hause erledigen können. So habe ich mich wochenlang mit Briefbögen Berliner und Brandenburger Unternehmen für unsere Briefkopfsammlung S2/07 beschäftigt. Nicht immer ganz einfach war der Umstand, die Kollegen wochen- manchmal monatelang nicht sehen zu können.

An den Archiv-Tagen wurde zeitweise der morgendliche Gang zum Testzentrum am U-Bahnhof vor dem Weg zur Arbeit zur Routine. Da längere Zeit keine Besucher ins Archiv kommen durften, blieb Zeit für Arbeiten, die wir schon immer mal machen wollten, wie z. B. die Bibliothek neu ordnen.

Weitere Herausforderungen waren zum einen die Tatsache, dass sich die schulische Ausbildung ausschließlich auf öffentliche Archive bezieht, das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv aber ein Verein ist und damit als privates Unternehmen gilt, was einen erheblichen Unterschied in einem Großteil der Abläufe im Archiv darstellt, insbesondere was die Beschaffung des Archivguts angeht. Also musste ich als einzige in der Klasse, die nicht in einem öffentlichen Archiv die Ausbildung macht, immer das theoretisch Gelernte für meine Arbeit im BBWA “übersetzen”. In diesem Zusammenhang blieb mir ein Zitat, dass ich in einem Fachartikel über die Arbeit des BBWA gelesen hatte, in lebendiger Erinnerung: „Kein Blatt kommt von allein ins Archiv.“ Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zu öffentlichen Archiven, die sämtliches Altschriftgut der entsprechenden Kommunal-, Landes- oder Bundesbehörden lt. der jeweilig geltenden Archivgesetze angeboten bekommen müssen.

Zum anderen musste ich mir die Inhalte der eigentlich 3-jährigen Ausbildung in nur 2 Jahren aneignen, da meine Ausbildung im Rahmen einer Umschulung von der Rentenversicherung gefördert wurde und 24 Monate die Maximalförderungsdauer sind. Ich hatte also ein strammes Programm in den letzten zwei Jahren zu absolvieren und nie Langeweile.

Was habe ich im einzelnen gelernt?

Alles aufzuführen würde natürlich den Rahmen sprengen, also kann ich nur punktuell einige Themenbereiche und archivische Begriffe nennen. Ich weiß jetzt, wie das Archivgut beschafft, bewertet, umgebettet, gelagert, verzeichnet und der Öffentlichkeit zur Forschung und zu Bildungszwecken zur Verfügung gestellt wird. Ich kenne jetzt die Bedeutung folgender Begriffe aus dem Archivalltag: z. B. Archivsprengel, Tektonik, Records Management, Barbara-Stollen, Depositalvertrag, Jedermann-Recht, Aktenautopsie, Bär’sches Prinzip, Löschungssurrogat, Entmetallisieren, ISAD (G), Provenienz- und Pertinenzprinzip, Schöpfungshöhe, unechter Nachlass, Heraldik, Hybridakte, Reponieren, Löschmitteltränkverfahren, Jurismappen, Schutzfristen, ligninhaltiges Holzschliffpapier, Kassation, Lichtbildwerk, Crowdsourcing, Urheberrecht, Sphragistik, OVG, Aktenplan, Sampling, Enthält-Vermerke, Zwischenarchiv, Erschließungsrichtlinien, Landesarchivgesetz Berlin, Klassifikation, Anbietungspflicht, Lex Specialis, Umbetten, Paläografie, Aufbewahrungsfrist, feuerverzinkt, Pergaminhüllen, Versagensgründe, Emulation, Diplomatik, Archivrecht, Findbuch, Registraturbildner, Signatur, Archivportal D und Evidenzwert.

Ich habe gelernt, wie umfangreich die deutsche Archivlandschaft hinsichtlich der Anzahl an Archiven und der verschiedenen Archivsparten ist. Welche Bedeutung Johannes Papritz für das Archivwesen hat. Was sich z. B. hinter den DIN-Normen 16245A und B, 11799, 18902, 9706 oder 36145 verbirgt. Kenne den Unterschied zwischen exogenen und endogenen Schäden und dass in diesem Zusammenhang Metall- und Plastikteile im Archivgut tabu sind. Ich kann den Lebenszyklus einer Akte beschreiben sowie Briefe und Texte in Kurrentschrift lesen. (An dieser Stelle ein Dankeschön an Carolin, die als Studentin der FH Potsdam im BBWA ihr Praxissemester absolviert und mit mir sehr geduldig das Lesen solcher Texte geübt hat.) Auch musste ich mich mit teilweise kniffligen Fragen herumschlagen, wie z. B. ob eine Strichmännchen-Zeichnung urheberrechtlich geschützt ist oder nicht.

Außerdem habe ich das BBWA näher kennengelernt und dessen Bedeutung für die Erforschung der regionalen Wirtschaft. Ich habe mich mit den Strukturen des Archivs beschäftigt, mit den einzelnen Gremien, der Satzung des Vereins, habe ein Organigramm im Rahmen eines Unterrichtsprojektes erstellt. Weiß jetzt mehr über das Ablagesystem, Finanzierung, Leistungen, Angebote und Veranstaltungen meines Ausbildungsbetriebes. Welche wichtige Rolle die Öffentlichkeitsarbeit in unserem Archiv spielt. Kenne die Inhalte unserer Benutzerordnung sowie des Landesarchivgesetz Berlin als Grundlage für unsere Arbeit. Weiß, wie man Recherchen durchführt und Kunden bzw. Archivnutzer berät.

Auch Verwaltungsaufgaben durfte ich übernehmen, wie Materialbestellungen, Führen von Statistiken, Postaus- und -eingänge bearbeiten, einen Depositalvertrag entwerfen und regelmäßig für die Anfragen der IHK nach Ausbildungszeitbestätigungen für die Bearbeitung von Rentenanträgen heraussuchen. Wie oft bin ich dafür ganz hinten im Magazin, letzter Gang, verschwunden und musste mich da durch Aktenordner und Aktenbündel mehrerer Jahrgänge wühlen, bis ich den richtigen Namen gefunden habe. Was ich aber sehr gern gemacht habe als Abwechslung zur doch überwiegenden Schreibtischarbeit in unserem Beruf. Aus dem gleichen Grund übernahm ich auch immer wieder gerne das Ausheben und Reponieren von Archivgut aus den Rollregalen, also das Heraussuchen und Zurückräumen von Akten, die Archivbesucher für ihre Recherche benötigen.

Auch durfte ich den ein oder anderen Blogeintrag für unseren Archivspiegel beisteuern, wie z. B. den über unseren recht umfangreichen Bestand U 6/13 Berliner Eisen und  Stahl GmbH, den ich über mehrere Monate verzeichnet, also den Inhalt jeder archivwürdigen Akte in einen eigenen Datensatz in unsere Archivdatenbank AUGIAS überführt habe. Während der Bearbeitung dieses Bestandes habe ich auch eine Menge über das Kassieren gelernt, also das Aussortieren und Vernichten nicht archivwürdigen Schriftguts. Ebenso über das Erfassen spezieller Archivgutarten wie z. B. Baupläne, Fotos, Zeitungsausschnitte, Broschüren und Jahresberichte. Und wie schwierig es ist, aber leider gar nicht so selten in unserem Archivalltag, ungeordnete Aktenstapel in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.

Wobei mir da auch unser Zirkus-Bestand N 7 Nachlass Martin Schaaff (1910-2015) (Zirkus-Busch-Archiv) einfällt, der gefühlt aus tausenden von Zeitungsartikeln rund um die Zirkuswelt besteht. Ich habe mich lange mit dem Bereich der Artisten beschäftigt.

N07/07 Artisten / Teilbestand Nachlass Martin Schaaff (Circus-Busch-Archiv)

Mit jedem neuen Bestand hatte ich die Gelegenheit, mit einer für mich unbekannten historischen Welt von kleinen regionalen Familienunternehmen, großen Konzernen oder enthusiastischen Sammlern in Berührung zu kommen und somit meinen Blick hinsichtlich Unternehmensgeschichte zu schärfen.

Anschaulicher wurde meine Ausbildung durch den einen oder anderen Auswärtstermin in der Region Berlin-Brandenburg bei Unternehmen und Museen, die Unterstützung bei der Einrichtung eigener Archive benötigten, sowie bei Behörden und Privatpersonen, die alte Unterlagen ans Archiv abgeben wollten. So waren wir z. B. im Ziegeleipark in Mildenberg, im Museumsverein Glashütte, bei der Korsch AG, einem Unternehmen, das Tablettenpressen produziert, und beim BVDM, dem Bundesverband Druck und Medien, der einen bevorstehenden Umzug nutzt, um Alt-Schriftgut auszusondern.

BBWA S2/07/567

Gleich in den ersten Tagen meiner Ausbildung durfte ich dabei sein, als wir den ersten Teil des Nachlasses der Familie Hildebrandt abgeholt haben, den ich dann in den folgenden Wochen erschlossen habe und nun als Bestand N 22 Nachlass Familie Theodor Hildebrand (Schokoladenfabrik) in unserem Archiv einzusehen ist. Später kamen noch Ergänzungen hinzu und weitere werden noch erwartet.

Um den Titel dieses Artikels aufzugreifen, verbrachten wir bei manchen dieser Termine vor Ort einen Großteil der Zeit in der Tat im Keller oder unterm Dach, wo das alte nicht mehr benötigte Schriftgut und andere Unterlagen gelagert wurde. So wie vermutlich jeder, der Dinge zu Hause ausmistet, sich aber noch nicht endgültig davon trennen kann, diese in der Regel in den Keller verbannt und/oder auf den Dachboden, sofern vorhanden.

Bei diesen Terminen konnte ich das, was ich bis dahin gelernt habe, überprüfen und entsprechend anwenden und neuen Input hinsichtlich Bestandsaufnahme, Bewertung und Beratung bekommen, alles unter den professionellen Augen meiner erfahrenen KollegInnen.

Diese nichtalltäglichen Termine stellten immer eine willkommene Abwechslung im Archivalltag dar und definitiv eine Bereicherung meiner Ausbildung. Ebenso die Online-Weiterbildung zum Projekt „Museum digital“ und der Workshop im Industriemuseum in Brandenburg an der Havel zur Erschließung und Bestandserhaltung, an denen ich teilnehmen durfte.

Der Workshop in Brandenburg fand ca. drei Wochen vor meinen schriftlichen Abschlussprüfungen statt. Und so wurde er gleichzeitig Teil meiner Prüfungsvorbereitung, die viel Zeit und Energie in Anspruch genommen hat, auch der eine oder andere Urlaubstag ging dafür drauf. Und die Spaziergänge am Wochenende mit Kopfhörern im Ohr oder das abendliche Kochen waren nicht von Musik begleitet sondern von Lernstoff, den ich mir aufs Handy gesprochen habe. Nicht zu vergessen etliche Vormittage im Archiv, die mir von Herrn Berghausen und Frau Estler-Ziegler großzügiger weise zum Lernen zur Verfügung gestellt wurden.

Diese Zeit war sehr anstrengend. Aber es hat sich gelohnt. Nachdem ich drei schriftliche Prüfungen im Dezember absolviert habe, musste ich noch eine mündliche Prüfung Ende Januar ablegen, um anschließend mit dem Prädikat “Gut” und einem glücklichen und sehr erleichterten Gefühl und einer Rose in der Hand aus dem Prüfungsraum zu treten.

Einen nicht geringen Anteil an diesem guten Ergebnis haben nicht zuletzt meine Ausbilderin Frau Estler-Ziegler und der Leiter des Archivs Herr Berghausen, die mich, wo es ging, unterstützt haben.

Gemeinsam haben wir uns auf das Abenteuer eingelassen und das Projekt „Erste Auszubildende im BBWA“ zu einem guten Abschluss gebracht.

Zum Schluss blicke ich auf eine sehr intensive, spannende und abwechslungsreiche Ausbildung zurück in einem tollen kleinen Team von nur drei Leuten, die den „Laden“ BBWA im operativen Geschäft schmeißen und dabei nie den Humor verlieren: Herr Berghausen, Frau Estler-Ziegler und Frau Rix. Und auch die vielen Praktikanten, Projekt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter bleiben mir in Erinnerung. Mindestens eine/r hatte immer Schokolade oder andere Nervennahrung dabei, die mich durch diese lernintensive Zeit gebracht hat.

Nun schließt sich ein Kreis: mit einem Praktikum vor über 2,5 Jahren fing alles an, dann folgte der Entschluss, die Ausbildung zu machen und nun werde ich ab März das BBWA als „Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste“ tatkräftig unterstützen. Auch wenn ich bereits viel gelernt habe, freue ich mich darauf, mein in der Ausbildung erworbenes Wissen und Fähigkeiten in der nun anschließenden Praxis als Projekt-Mitarbeiterin anzuwenden und zu vertiefen.

Text: Beate Bohm

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