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Von der Verantwortung der Wirtschaft als Teil der Gesellschaft

An Günter Braun erinnern wir anlässlich des Internationalen Archivtages, zu dem das britische Nationalarchiv einen “Twitter-Tag“ vorgeschlagen hat, an dem Archive Geschichten und Archivalien ihrer Bestände zum Thema „Demokratie und Recht“ präsentieren.

Dass sich eine funktionierende Demokratie und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns innerhalb der sozialen Marktwirtschaft gegenseitig bedingen, mag wie eine Binsenweisheit klingen. Doch sich dessen stets bewusst zu sein und durch die eigene Leistung unter Beweis zu stellen, ist wenigen so gut gelungen wie dem ehemaligen Hauptgeschäftsführer der IHK Günter Braun, der von 1969 bis 1990 21 Jahre lang dem wichtigsten Organ der wirtschaftlichen Selbstverwaltung (West-)Berlins vorstand.

Dr. Günter Braun spricht vor dem VBKI am 14. Juni 1971 (BBWA V2/5/273, Nr. 3)

Dr. Günter Braun spricht vor dem VBKI am 14. Juni 1971 (BBWA V2/5/273, Nr. 3)

Braun (1928-2009) war ein „Mann des Anstands und der Bescheidenheit“, wie der Tagesspiegel seinen Bericht über die Trauerfeier titelt, zu der die Vertreter von Wirtschaft, Politik und Kultur zahlreich erschienen. Die Zusammensetzung der Trauergemeinde spiegelt die Bedeutung Brauns in der Schnittstelle zwischen den Gesellschaftsfeldern. Für die Wirtschaft forderte Braun ein Verständnis für die gesellschaftlichen Zusammenhänge und appellierte an die Verantwortung, sich einzubringen – beispielswiese als „Besitzbürger“ und Mäzen in die Kultur der Heimatstadt. Dies unterstrich er beispielsweise durch den gemeinsam mit seiner Frau herausgegebenen Band „Mäzenatentum in Berlin. Bürgersinn und kulturelle Kompetenz unter sich verändernden Bedingungen“. Der Tagesspiegel führt in seinem Nachruf vom 7. April 2009 aus: „Denn Braun war nicht nur Ökonom. In dem Horizont seines Lebens wohnten Kultur und Bildung, Wissenschaft und Bürgersinn einträchtig beieinander.“

Die IHK würdigte ihren Hauptgeschäftsführer, indem sie unter anderem auf die bedeutenden Stationen seiner Amtszeit hinwies: Die Wirtschaft im Westteil Berlins habe in dieser Zeit die Durststrecke der 70er Jahren überwunden und im folgenden Jahrzehnt wieder an Dynamik gewonnen. Braun habe sich für die Berliner Unternehmer eingesetzt, indem er am Vier-Mächte-Abkommen beratend mitwirkte, das Berlinförderungsgesetz und die Diskussionen hierüber begleitete oder durch die Mitorganisation der „Berliner Wirtschaftskonferenzen“ oder „Kanzlerkonferenzen“ unter Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Nicht zuletzt habe Braun nach der Wende auch den Grundstein für eine Gesamtberliner IHK gelegt. Auch die Mitverantwortung der Wirtschaft für den sozialen Frieden war ihm immer wieder Thema.

Marktwirtschaft in der Bewährung

BDI-Präsident Fritz Berg (r.) und VBKI-Präsident Jakob Dichter (l.) am 11.09.1959 (BBWA V2/5/341, Nr. 2)

BDI-Präsident Fritz Berg (r.) und VBKI-Präsident Jakob Dichter (l.) am 11.09.1959 (BBWA V2/5/341, Nr. 2)

Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv erhielt 2010 den Nachlass Günter Brauns, der zu vielen Einzelthemen Dokumente enthält: Bundesländer-Konferenzen, Berliner Förderprogramme, BDI-Reden von Fritz Berg, Materialien zur Deutschen Industrieausstellung Berlin 1961, Protokoll zu den Kanzler-Konferenzen 1975 (Helmut Schmidt), Protokolle und Artikel zu den Berliner Wirtschaftskonferenzen 1982 und 1984, dazu auch Ergebnisniederschriften des Bundeswirtschaftsministeriums.

Am 14. Juni 1971 hielt Günter Braun vor dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller den Vortrag „Marktwirtschaft in der Bewährung – auch und gerade in Berlin“:

„Wenn es darum geht, unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu sichern und zu vervollkommnen, so werden von den Unternehmern in diesem Zusammenhang vor allem überzeugende Antworten auf zwei Forderungen erwartet. Ich meine die Forderung nach einer Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten am Produktionsvermögen der Volkswirtschaft und dann die Forderung nach mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb.“

Die politische Verantwortung der deutschen Unternehmer für Berlin

„Mit merkwürdiger Selbstverständlichkeit wird von der politischen Verantwortung der deutschen Unternehmer für Berlin gesprochen. Was ist dies eigentlich für eine Verantwortung? Hat sie den Charakter eines Mandats? Ist sie wirklich zwingend? Muß jeder Unternehmer sie gegen sich gelten lassen? Oder ist sie mehr zu verstehen im Sinne einer solidarischen Haltung der deutschen Unternehmer zur ehemaligen Hauptstadt des Reiches, die schon bald nach dem Krieg zum Symbol unserer Freiheit und der Einheit der Nation wurde? Und was geschieht, wenn politische Verantwortung für Berlin und wirtschaftliche Interessen der Unternehmen nicht in Einklang miteinander zu bringen sind? Schließlich: Hat Berlin einen Anspruch darauf, daß der deutsche Unternehmer politische Verantwortung gegenüber der Stadt empfindet? Oder ist Berlin dafür zu einer Gegenleistung verpflichtet? Fragen über Fragen, auf die über die Jahre durchaus unterschiedliche Antworten gegeben worden sind.

Die Antworten kann man an verschiedenen Ereignissen festmachen: an der Reaktion der Unternehmerschaft auf die Blockade, das Chruschtschow-Ultimatum und den Bau der Mauer. Aber der Wandel in den Antworten läßt sich auch verdeutlichen an vielen Initiativen der deutschen Wirtschaft, vor allem des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), aber auch des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT). Und in vielen Fällen wird sich erweisen, daß die Antworten stark geprägt worden sind durch einzelne Persönlichkeiten, durch Unternehmer wie Fritz Berg, Ernst Schneider, Hans-Günther Sohl und Otto Wolff von Amerongen, aber auch durch die Politiker, die deren Gesprächspartner in Fragen Berlins und seiner Wirtschaft waren.“

So beginnt Günter Braun seinen Beitrag in „Die Grenzen sprengen“, der Festschrift für Edzard Reuter zum sechzigsten Geburtstag 1988. Das Manuskript vom 15. Januar 1988 befindet sch im Nachlass Günter Brauns. Auch hier findet er zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Verantwortung der Wirtschaft für das Funktionieren der westlichen Demokratie – Ende der 80er Jahre freilich noch stark kontrastiert zur DDR.

Zur Volkskammerwahl am 18. März 1990

VBKI-Präsident Hans Strathus (BBWA V2/5/528, Nr. 1)

VBKI-Präsident Hans Strathus (BBWA V2/5/528, Nr. 1)

In seiner After-Dinner-Ansprache bewertet Braun die letzte Volkskammerwahl in der DDR und verknüpft sie mit den Herausforderungen und der Verantwortung für die Berliner Wirtschaft. Er leitet sie wie folgt ein:

„Als mich Herr Strathus vor einigen Wochen fragte, ob ich bereit sei, heute abend den after-dinner-speach zu übernehmen, habe ich ohne Zögern zugesagt, möglicherweise ohne genau zu wissen, auf was ich mich dabei einlassen würde: einen after-dinner-speach um 21.30 Uhr nach einem anstrengenden Nachmittag und einem opulenten Abendessen, vor allem aber nur 24 Stunden, nachdem die Wahllokale in der DDR geschlossen haben, nur einen Tag nach der Wahl in der DDR, derem [sic!] Ergebnis jeder von uns mit Spannung, mit Anspannung entgegengesehen hat – mit gleicher Anspannung, als wenn es eine Wahl bei uns gewesen wäre, als wenn es nicht etwa irgendeine Landtagswahl, sondern statt dessen als wenn es eine Bundestagswahl gewesen wäre mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen, deren Ergebnis über Schicksalsfragen der Republik entscheiden würde. Allein diese Einschätzung der gestrigen Wahl in der DDR zeigt mehr als alles andere, was sich seit dem 9. November ereignet hat. Lassen Sie mich eine kurze Bewertung des Wahlergebnisses versuchen

  1. Wahlbeteiligung ..
  2. Voraussetzungen für eine Koalition der Vernunft ..
  3. Hoffentlich eine möglichst große Koalition, weil die politische Führung der DDR vor Aufgaben steht, die in ihrer Stringenz überhaupt nur mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit gelöst werden können […]
  4. Aber das Ergebnis drückt auch Ängste vor der Zukunft aus: Daß jede Identität verloren gehen könnte; nicht nur die Identität der DDR als Staat, der schon längst dem Untergang geweiht war und nun endlich auch wirklich unterzugehen scheint, sondern auch die personale Identität der Menschen in der DDR, die in den zurückliegenden 40 Jahren auch etwas geleistet, auch etwas Eigenes geschaffen haben wollen. Soll denn alles umsonst gewesen sein? War alles nur schlecht bei uns? Wer kennt nicht diese Fragen am Ende von Gesprächen mit Menschen aus der DDR. Und wenn man offen wäre, dann bliebe einem nichts anderes übrig, als zu antworten, daß – abgesehen von Widerstand und von Bewährung im Widerstand – fast alles in der Tat schlecht gewesen ist.

Quellen und Links

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