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Chinesische Weihnachten 1906

Straßenszene in China

„Bei Ankunft dieses Briefes ist Weihnachten mit all seinen Freuden, seinem Lichterglanz und Flitter vorbei, und das alte Jahr geht seinem Ende entgegen, um im Weltengetriebe ebenso zu versinken, wie seine Vorgänger. Auch Du rüstest Dich, um das neue Jahr würdig zu empfangen, um mit neuer Schaffensfreude alle Fügungen des Schicksals auch im neuen Jahre zu bestehen.“

So schrieb der Berliner Oberzahlmeister Otto Schulze auf dem Weg nach Tsingtau im „Deutschen Schutzgebiet Kiautschou“ in China an seine Verlobte Frieda Neuendorf im schlesischen Liegnitz. das unten erwähnte Paket erreichte Tsingtau erst am 2. Februar 1907. Die Briefe liegen im Bestand N8 Nachlass Otto Schulze und wurden von ehrenamtlich engagierten Senioren transkribiert. Sie erschienen 2015 in der „Maritimen Reihe – Zeitzeugen des Alltags“ in zwei Bänden.

Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsarchiv wünscht schöne Feiertage und eine entspannte Auszeit zum Luftholen für das kommende Jahr.

17. November 1906, Colombo – Hongkong

Hongkong Central Road

Hongkong Central Road (BBWEA N8/22, Nr. 69)

„Was uns das Jahr 1907 bescheren wird, liegt tief im Schoße der Zeiten. Aber mit Mut und Gottvertrauen ans Werk! Daher wünsche ich, dass Du auch im Neuen Jahre vor allem Deinen Humor behältst, stets lustig und fidel an alles herantrittst, „frisch gewagt ist halb gewonnen“; Du hast ja nun Zeit, alles so nett vorzubereiten, damit bei meiner Rückkehr vom Ausland zur Hochzeit alles in Ordnung ist; denn wie ich schon einmal erwähnte, soll die Zeit meines Urlaubs nicht allzu sehr durch derartige Arbeiten in Anspruch genommen werden. Sei mir immer recht gesund und schone Dich auch im neuen Jahre; hierbei möchte ich bemerken, dass alle meine Ratschläge und Anweisungen für Dein Wohlergehen ohne Weiteres auch im Jahre 1907 volle Gültigkeit haben. Es wäre ja immerhin nicht unmöglich, dass Du mit Schluss 1906 und Beginn 1907 von mir neue Anweisungen in Bezug auf die „schonende Behandlung Deines Persönchens“ erwartest. Also nochmals Dir, Vater und Mutter Glückauf im Neuen Jahre!

[…]

Nun sage mir mal, wo und wie hast Du Weihnachten verlebt?Hat sich der Weihnachtsmann auch recht liebenswürdig und freigebig gezeigt? Der Weihnachtsmann aus China kommt wegen der langen Reise erst etwas später zu Dir. […] Soeben musste ich den Brief unterbrechen, weil wir heute Vormittag einige Aufnahmen machen wollten. Diese sind bei dem klaren Wetter hoffentlich gelungen, und ich werde diesem Briefe einige Abzüge beifügen. Gefallen Dir die Bilder, die ich neulich schickte? Du hast dadurch so einen kleinen Einblick in das Leben an Bord eines Passagierdampfers bekommen. Doch Adieu, Nachmittag oder morgen früh mehr!
Am Mittwoch – 21. November – kommen wir nach Hongkong. Hier verlassen viele Passagiere das Schiff, und ich bekomme Befehl, wo ich aussteige. Am Sonnabend den 24. November verlassen wir in Shanghai die „Prinzregent Luitpold“ und wenn ich nach Tsingtau komme, steige ich auf einen kleineren Dampfer, der uns in 36 Stunden an unser Ziel bringt. Allenthalben macht sich ein Gefühl von Langeweile, ja Faulheit, bemerkbar, und jeder sehnt sich danach, wieder in einen geregelten Betrieb hineinzukommen.

Tsingtau, 16. Dezember 1906

Kaiserliches Postamt in Tsingtau

Kaiserliches Postamt in Tsingtau (BBWA N8/40, Nr. 4)

Zum „heiligen Abend“ bin ich in die Familie des Stabszahlmeisters Fichtner eingeladen, damit mir die Trennung von Dir, mein Liebstes, nicht gerade an diesem Abend allzu schwer wird. Im Geiste bin ich ja doch nur zu Hause, bei Dir und werde durch mein Telegramm dieses auch bekräftigen. Hoffentlich bist Du dann mit Vater und Mutter in Groß Lichterfelde unter dem Weihnachtsbaum versammelt und denkst auch an mich, der ich im fernen Asien auch nach deutscher Sitte, im traulichen Familienkreise Weihnachten feiere. Gerade bei diesem schönsten aller christlichen Feste denkt jeder ganz besonders an die Lieben in der Heimat, und wenn jemand noch dazu so glücklich ist, wie ich, ein süßes, wonniges Bräutchen sein nennen zu dürfen, dann sind seine Gedanken erst recht daheim.

Tsingtau, 19. Dezember 1906

Tsingtau steht jetzt im Zeichen des Weihnachtsfestes. In vielen deutschen und auch chinesischen Läden liegen Weihnachtssachen, Christbaumschmuck usw. aus. Weihnachtstannen kommen von Japan, Nüsse aus der Heimat und Äpfel aus Kalifornien, jenem Früchte-Eldorado Nordamerikas. In Tsingtau und Umgebung gibt es auch Obst, ganz besonders Weintrauben von nie gesehener Größe, aber Äpfel, Birnen pp. sind wohl saftig aber geschmacklos. Die Temperatur ist auch ziemlich kühl, so dass nur noch Schnee fehlt, und die Weihnachtsszenerie ist fertig. Aber Schnee gibt es sehr selten, und darauf werden wir wohl verzichten müssen.

Morgen Abend kommt wieder ein Dampfer aus Shanghai und bringt die englische Post mit. Da werden die Weihnachtsbriefe mitkommen, während Pakete erst am 29.12. mit dem deutschen Dampfer hier eintreffen. Du bekommst auch morgen Brief No. 9 (Weihnachtsbrief) No. 10 und 11. Zufällig sollen alle zur selben Zeit ankommen. No. 11 ist über Amerika gegangen

Tsingtau, 27. Dezember 1906

Frieda Neuendorf und Otto Schulze

Frieda Neuendorf und Otto Schulze (BBWA N8/6)

Zunächst will ich Dir erzählen, wie ich Weihnachten gefeiert habe. Am heiligen Abend war ich in der Familie des Stabszahlmeisters Fichtner mit einem andern Oberzahlmeister, zusammen. Es war durchaus nett, familiär und gemütlich und dadurch wurde ich etwas über den Trennungsschmerz hinweggesetzt.

Wie in der Heimat gab es auch hier Karpfen, so dass auch hierin die Heimat ersetzt wurde. Als Geschenk erhielt ich einen silbernen Bleistift. Am 1. Feiertag war ich in den Deutschen Klub zum Essen geladen, nachmittags ging ich zu Fichtner zum Kaffee. Auf Wunsch von Frau Fichtner brachte ich unser Bild mit und zeigte es. Wie ja nicht anders zu erwarten war, gefiel mein liebes Bräutchen allgemein auf den ersten Blick, und ich war natürlich nicht wenig stolz darauf. Am 2. Feiertag hatten wir ein kleines einfaches Diner hier auf unserm Boot. Wir waren sechs Herren, an der Spitze mein Kommandant. Ich habe das Menü zusammengestellt, alles persönlich eingekauft, und die Sache verlief durch aus nett. Wenn es Dich interessiert, kann ich Dir das Menü ´mal aufzählen.

Kaviar – Henkell trocken
Bouillon in Tassen.
Karpfen mit Buttersauce – Chablis –
Gänsebraten mit Gemüse
Rüdesheimer Nusstorte
Obst
Kaffee.

Während des Dinners stand der Kommandant auf und brachte einen längeren Toast auf mein Fräulein Braut aus. Auf Dein Wohl wurde überhaupt recht häufig getrunken, und es erfüllte mich mit recht großer Freude, dass alle Herren so großen Anteil nehmen.
Der Nordwind und die eisige Kälte haben ihr Nötiges dazu getan, dass ich Schnupfen und Heiserkeit habe. Dazu kommt so eine kleine Unpässlichkeit nach allen Leckereien, Diners von Weihnachten, so dass ich mich z. Zt. nicht gerade rosig fühle.

Das Weihnachtspaket habe ich leider noch nicht, obwohl der deutsche Dampfer schon angekommen ist. Aber es wird ja noch kommen …“

Quellen

N8 Nachlass Otto Schulze
N8/1, Nr. 11, Nr. 17 und Nr. 20
N8/6
N8/22, Nr. 69
N8/25, Nr. 35
N8/40, Nr. 4

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