Archivgut
Kommentare 2

Aus der „Filmfabrik“ ins Archiv: Der Bestand der Geyer-Kopierwerke ist verzeichnet und zugänglich

Geyer-Werke (Foto: BBWA)

In der Fernsehserie Babylon Berlin sucht der junge Kommissar Gereon Rath bei den Geyer-Werken in Berlin-Neukölln nach dem Filmoriginal zu einem delikaten Fotoabzug, mit dem der Kölner Oberbürgermeister erpresst werden könnte. Nur Geyer, so weiß der Polizeifotograf aus dem Jahr 1929 in der Serie, verwendet das billige Filmmaterial aus der Tschechoslowakei. Was die Geyer-Werke zwischen den 1950er und den 2000er Jahren mit denen der 1920er Jahre verband oder nicht, lässt sich nun im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv erforschen. Der Bestand der Geyer-Werke 1956-2010 ist nach langer Arbeit fertig verzeichnet und liegt für interessierte Nutzer/-innen bereit.

Die frühe Geschichte der Geyer-Werke ist die einer „Filmfabrik“. Das 1911 von Karl August Geyer als „Kino-Kopier-Gesellschaft mbH“ gegründete Unternehmen, ab 1926 „Geyer-Werke AG“, war eines der ersten in Europa, die sich auf die Entwicklung und Vervielfältigung von Kinofilmen spezialisierten. In der Harzer Straße 39-46 ließ das Unternehmen 1927/28 für Kopierwerk und Verwaltung von dem Architekten Otto Rudolf Salvisberg einen modernen Klinkerbau errichten, der heute unter Denkmalschutz steht. Entwicklungs- und Kopiermaschinen wurden automatisiert. Für die verbliebenen Klebe- und Schneidearbeiten war Fließfertigung das Ziel. Millionen Meter Film wurden jährlich kopiert.

Deckblatt zur Einladung zum Betriebsausflug am 23. Juni 1956 nach Tegelort (BBWA S2/13/192)

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Unternehmen Startschwierigkeiten. Maschinen wurden demontiert, auf denen bis unmittelbar vor Kriegsende Wochenschauen und Propagandafilme kopiert worden waren. In Hamburg erschien es Karl A. Geyer leichter, eine Betriebsgenehmigung zu erhalten. 1954 aber eröffnete das Unternehmen auch am alten Standort ein Kopierwerk. Dieses wurde bald durch Synchronstudios ergänzt, die an Filmproduzenten vermietet wurden. In Berlin arbeiteten bis zu 300 Personen. In München kaufte Geyer 1967 ein Kopierwerk auf.

Das Atelier 2 (BBWA U6/4/805)

Den Herausforderungen durch Fernsehen und Videotechnik begegneten die Geyer-Werke mit eigenen Produktentwicklungen, wie schon in der Frühzeit des Unternehmens. Damals waren Perforiermaschinen nötig geworden, weil die leeren Filme ohne die für den Transport im Projektor notwendigen Löcher geliefert wurden. Jetzt verbesserte das bei Geyer entwickelte Telecine-Wetgate-Verfahren die Qualität von Kopien fürs Fernsehen. Kratzer im Original, die beim Trockenkopieren weiße Blitze bei der Ausstrahlung erzeugen, werden dabei durch flüssiges Perchlorethylen ausgefüllt, die weißen Blitze so vermieden.

16mm Video Wetgate Head mounted (BBWA U6/4/804)

Auch über eine intensivierte Partnerschaft mit öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern versuchten die Geyer-Werke, das Geschäft mit Kinofilmen aufzufangen. Übernahmen von weiteren Kopierwerken in Hamburg und München sollten Ende der 1980er Jahre die Position in der Branche sichern. 1996 erfolgte die Umstrukturierung in eine Holding, welche bald darauf von den Mitgliedern der Familie Geyer an die CineMedia Film AG verkauft wurde. Diese verfolgte während einer kurzen Phase am „Neuen Markt“ der Deutschen Börse eine verlustreiche Diversifizierung im Bereich der Filmproduktion, die sie kurz darauf wieder rückgängig machte. Ab 2013 musste CineMedia sich mühsam aus einem Konkurs befreien. Ihre ehemaligen Tochterfirmen an den alten Geyer-Standorten arbeiten unter dem Namen Cine-Postproduction ausschließlich in der digitalen Nachbearbeitung von Filmen.

Bis zu diesem Abschied vom auf Rollen gewickelten Film prägten Fotochemikalien und ihre Rückstände die Produktion der Kopierwerke. Nachdem West-Berlin 1989 als eines der letzten Bundesländer für die Einleitung von Gefahrstoffen ins Abwasser eine Genehmigungspflicht einführte, dauerten die Auseinandersetzungen um Geyers Silberrückstände im Abwasser über die 1990er Jahre hinweg an. Ermittlungsverfahren, Kontakte mit dem bezirklichen Umweltamt und der Senatsverwaltung gehören zu den im Bestand dokumentierten Vorgängen.

BBWA U6/308/1

Welche weiteren Charakteristika einer „Fabrik“ die Erstellung von Filmkopien bis heute aufweist, das ist eine der Fragen, zu deren Beantwortung die nun zugänglichen, auf mehr als 20 laufenden Metern im BBWA archivierten Unterlagen Hinweise geben können. Eine andere ist, welche Rolle kurzfristige Unternehmensentscheidungen im Verhältnis zu längerfristigen Veränderungen für das Ende der Geyer-Kopierwerke spielten. Wir freuen uns auf forschungshungrige Besucher/innen!

Text: Jens Beckmann

2 Kommentare

  1. Jens Beckmann sagt

    Hallo Herr Koerber,

    ich bin schon lange nicht mehr dort, und Sie haben – als einer der Hüter der weiteren Bestände – hoffentlich längst Antwort erhalten! Damit es auch andere Interessierte wissen: Diesen und andere beschriebene Bestände finden Sie im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv im Eichborndamm 167, Haus 42.

  2. Martin Koerber sagt

    Guten Tag,
    einen weiteren großen Bestand mit Unterlagen zu dieser Firma gibt es in der Deutschen Kinemathek, sowie einiges im Museum Neukölln.
    Velen Dank für diesen Hinweis auf ein weiteres Archiv. Wo ist denn der hier beschriebene Bestand zu den Geyer-Werken einsehbar?

    Freundliche Grüße und besten Dank für einen Hinweis.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert