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Von Ãœberfluss und Rationierung in meiner ersten Praktikumswoche

So schnell, wie das schöne Sommerwetter aus Berlin verschwand so schnell verging auch meine erste Woche des Praktikums im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv. Ich studiere zwar Archiv im Bachelor an der FH Potsdam, habe aber mit Wirtschaft nicht viel zu tun, dachte ich zumindest, bis ich die Website und somit einen Auszug der mannigfaltigen Bestände des BBWA bestaunen konnte.

Eigentlich bin ich sehr kunst- und kulturinteressiert und so wollte ich im Gegenzug ein kleines Kontrastprogramm im Rahmen meines sechswöchigen Praktikums einlegen. Aber nichts da, denn viele der Bestände bieten ebenso kultur- und kunsthistorische Einblicke in den Berlin-Brandenburgischen Raum.

Katalog Ernst Rancke Metallwarenfabrik “Elegante und stabile Büstenständer, o. D. (BBWA S2/13/730)

Als eine meiner ersten Aufgaben wurden mir Dokumente für die Bestandsergänzende Sammlung (S2/13) zugewiesen. Dies mag zunächst unspektakulär klingen, jedoch verbirgt sich hinter diesem Bestandstitel allerlei, was man sich nur vorstellen kann. Angefangen mit Katalogen von Metallwaren, die aus den 1910er Jahren stammen und eindrücklich die kunstgewerbliche Manier festgehalten haben, bis hin zu Briefumschlägen, die einen Firmenstempel enthalten, oder lediglich Firmenordner ohne Inhalt, dafür aber mit Firmenlogos von Firmen versehen sind, die vielleicht schon gar nicht mehr existieren und so doch noch einen Platz im historischen Gedächtnis finden.

BBWA S2/13/735

Besonders amüsiert hat mich jedoch ein kurzer Brief (BBWA S2/13/735) der Nordbau GmbH. Dabei handelt es sich, um eine Beschäftigungsbescheinigung für einen Rüstungsarbeiter. Aus diesem Schreiben wird ersichtlich, dass eine Bescheinigung des Arbeitsverhältnisses erfolgt, um unter Vorlage dieser eine Weckerreparatur zu erhalten, die dringend benötigt wird, damit der Arbeiter pünktlich zur Arbeitsstätte kommt. Mit dem aus heutiger Sicht verklärten Blick weicht der Belustigung jedoch schnell die Verwunderung, die dann gänzlich einem unangenehmen Gefühl Platz macht. Bei diesem kurzen Schreiben wird deutlich, wie das Kriegsende, aber auch die Kriegswirt-schaft des NS-Regimes, Einfluss auf die Bevölker-ung nahm. In unserer heutigen Konsumgesellschaft kann man es sich kaum mehr vorstellen, dass der Großteil der Bevölkerung auf Lebensmittelmarken und Bezugsberechtigungen angewiesen war, um Dinge des alltäglichen Lebens zu erhalten – abgesehen davon, dass nunmehr fast jeder über ein Smartphone oder Handy mit entsprechender Weckfunktion verfügt und diese Güter keiner Rationierung oder Verknappung seitens des Marktes unterliegen.

Ab 1943 wurden der Kriegswirtschaft dienliche Güter den Verbrauchsgütern vorgezogen.[1] Falls diese doch verfügbar waren, waren diese vor allem Bombenopfern vorbehalten, so dass der restlichen zivilen Bevölkerung der Zugang dazu verwehrt blieb.[2] Man kann sich der Komik nicht erwehren, dass ein Rüstungsarbeiter einen Nachweis für eine Reparatur des eigenen Weckers braucht, um weiterhin vorbildlich Teil der kriegswirtschaftlichen Maschinerie zu sein und das auch in einem Betrieb, der mit dem Gaudiplom ausgezeichnet wurde.

Ich freue mich auf die nächsten Wochen und auf die neuen Aufgaben und spannenden Archivalien, die in diesem imposanten Backsteinbau noch auf mich warten.

Text: Alina Edelmann

[1] Vgl. Jonas Scherner: „Bericht zur deutschen Wirtschaftslage 1943/44“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2007, Heft 3, S. 513.

[2] Vgl. Christoph Buchheim: „Der Mythos vom `Wohlleben´“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2010, Heft 3, S. 327.

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