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Reinickendorfer Industriegeschichte – Fahrradtour mit dem ADFC

Zwanzig Radfahrer mit Interesse an der Reinickendorfer Industriegeschichte trafen sich am Sonntag, dem 19. Mai, zu einem Industriespaziergang der anderen Art – nicht zu Fuß, sondern mit dem Drahtesel. Zusammen mit dem ADFC Reinickendorf veranstaltete das Wirtschaftsarchiv eine Fahrradtour auf den Spuren der Reinickendorfer Wirtschafts- und Industriegeschichte.

Als Auskoppelung aus dem Programm der beliebten Industriespaziergänge bot diese Tour die Möglichkeit, weiter auseinanderliegende Objekte anzusteuern und dieser zu einer interessanten Tour zu verbinden. Das Wirtschaftsarchiv bietet diese Spaziergänge, die im Rahmen einer Förderung durch den Bezirk Reinickendorf von Ehrenamtlichen entwickelt wurden, seit einem Jahr an. Damit verfolgt das Archiv das Ziel, Wirtschaftsgeschichte in die Öffentlichkeit zu vermitteln und ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ohne die im Archiv liegenden Quellen eine Geschichtsschreibung – auch und gerade im Kleinen – nicht möglich ist.

Die Route führte durch Reinickendorf Ost und berührte immer wieder die Grenze zum Wedding. Seit der Eingemeindung des Wedding nach Berlin im Jahre 1861 lag der östlichste Zipfel der Gemeinde Reinickendorf unmittelbar vor der Berliner Stadtgrenze. Wie schon das historische Scheunenviertel vor den Mauern Berlins des 17. Jahrhunderts entstanden war, entwickelte sich nun vor den neuen Stadtgrenzen Berlins ein ganz eigenes „Reinickendorfer Scheunenviertel“, das vom Zuzug ärmerer Berliner Bevölkerungsschichten, der Ansiedlung kleiner Handwerksbetriebe und später auch einiger Industrieunternehmen geprägt war. Die Gemeinde Reinickendorf war kaum in der Lage diesen Zuzug in planerische Bahnen zu lenken und vorausschauende städtebauliche Lösungen zu schaffen. Treiber der ungeordneten baulichen Entwicklung waren gewinnorientierte Terraingesellschaften und Einzelspekulanten, die sich aus den bäuerlichen Grundbesitzern und aus Berliner Bürgern rekrutierten, die den bäuerlichen Grundbesitz zuvor erworben hatten. Bis heute hat sich das in der Einflugschneise des Flughafen Tegels gelegene Gebiet um die Provinzstraße seine kleinteilige Struktur bewahrt und dämmert besseren Zeiten entgegen.

ehemalige Branntwein-Monopolverwaltung (Foto: Berghausen/BBWA)

ehemalige Branntwein-Monopolverwaltung (Foto: Berghausen/BBWA)

Der Schäfersee ist Schauplatz der ersten Industrieansiedlungen auf Reinickendorfer Gebiet und der heute in Vergessenheit geratenen industriellen Eiserzeugung, aber auch von Forschungsaktivitäten eines ehemaligen Elektrokonzerns mit Weltgeltung. Es lässt sich erleben, wie Reinickendorf versäumt hat eine städtische Mitte als Bindeglied zwischen Reinickendorf-Ost und West zu entwickeln, auch wenn ein spät realisiertes Vorzeigeprojekt des Wohnungsbaus am Wege liegt, das inzwischen als UNESCO Welterbe gelistet ist. Exemplarisch für die verspielten städtebaulichen Chancen der Gemeinde mag zum Schluss die industrielle Überformung der historischen Dorfaue Alt-Reinickendorf mit ihren bemerkenswerten Beispielen für die Randwanderung der Eisen verarbeitenden Industrie und des Maschinenbaus stehen.

Straßenbahndepot in der Pankower Allee (Foto: Berghausen/BBWA)

Höhepunkte der Tour waren die 1921 von Gustav Geitel gegründete „Berliner Fahnenfabrik Geitel & Co.“ in der Kühnemannstraße, direkt nebenan die eindrucksvolle Konservenfabrik Adria, deren Gebäudekomplex vom Industriearchitekten Bruno Buch entworfen wurde, sowie die ehemalige Branntwein Monopolverwaltung in der Provinzstraße. Der Betriebshof der Straßenbahn an der Pankower Allee erinnerte an die verkehrstechnische Erschließung Reinickendorfs, während von den Berliner Eiswerken Louis Thater und den Eiswerken Mudrack kaum noch etwas übrig geblieben ist.

An allen Stationen ließen sich die Zusammenhänge mit der Gesamtberliner Entwicklung und zu den wesentlichen Entwicklungslinien der allgemeinen Wirtschaftsgeschichte herstellen und am konkreten Beispiel und am authentischen Ort beleuchten. Die Teilnehmer der Radtour freuen sich nun auf Teil 2 der Radtour im Herbst.

N. Ritter / B. Berghausen

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