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“Modemetropole Berlin“ – zwei Vorträge zu 100 Jahre Mode und die Mode nach der Mode

Der Historiker Uwe Westphal, der bereits das dritte Buch über die Mode in Berlin veröffentlicht hat, nahm am Anfang des Abends zur Industriekultur am 14. Juni das Thema „Modemetropole Berlin“ mit Blick auf die Entwicklung der jüdischen Konfektionshäuser unter die Lupe. Er sieht darin die Chance zur Erinnerung an ehemalige jüdische Modeschöpfer und zur Mahnung über jene, die sich an jüdischem Eigentum bereicherten.

Ein Rückblick auf die Entwicklung der jüdischen Konfektionshäuser

Faltblatt zum 22. Industriekulturabend (PDF)

Eine Vielzahl seiner Recherchen, gesammelten Fotografien und Dokumente nutze er, um das Thema darzustellen. Einige davon fand er im BBWA. Sein Rückblick startete im Jahr 1836. In diesem Jahr nämlich begann etwas, was heute nicht mehr wegzudenken ist: der Verkauf vorgefertig­ter Kleidung. Damit lösten die die jüdischen Kaufleute Valentin Manheimer, Herrman Gerson und Da­vid Leib Levin, die diese Idee in die Tat umsetzten, eine Revolution aus. In Berlin entwickelte sich am Hausvogteiplatz schnell ein ganzes Konfektionsviertel. Hunderte von Konfektionären stellten bald Be­klei­dung in standardisierten Größer her. Mit der Erfindung der Nähmaschine 1860 boomte das Ge­schäft. 1880 nahm die Konfektionskleidung Einzug in die Warenhäuser. 1920 drehte sich vieles um die Mode: Künstler, Revue, Theater, Film – es entstanden Modezeitschriften mit Auflagenhöhen, von denen die Zeitschriften heute träumen würden. Die Mode wurde kreativ. Mit dem Wegfall des einen­gen­den Korsetts entstand eine völlig neue Frauenmode: der sogenannte „Berliner Chic“. Berlin ist nun Modemetropole.

Zur gleichen Zeit arbeiteten rund 100.000 Näherinnen, Schneider, Konfektionäre und Modegestalter nicht nur am Hausvogteiplatz sondern auch in den Randbezirken für den internationalen Modemarkt. Die in diesem Wirtschaftszweig tätigen Juden verbanden Wissen, Gespür und Kenntnis für Textilien und Kleidung miteinander und errangen so die Spitzenposition in der Berliner Bekleidungsindustrie.

Jedoch wurde ihnen die Rassedefinition der Nationalsozialisten ab 1933 zum Verhängnis. Viele hochangesehene jüdische Konfektionshäuser wurden „arisiert“, die Inhaber enteignet, vertrieben oder ermordet. Gab es 1933 noch 2.700 „jüdische“ Firmen in Berlin, waren es 1939 weniger als 100.

Uwe Westphal (Foto: BBWA)

Daran war die 1933 gegründete ADEFA (Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie e.V.) maßgeblich beteiligt. Sie propagierte die „arische Mode“ und unternahm einen „Raubzug“ auf jüdische Modefirmen. Sie sorgte für die Auflösung jüdischer Konfektionsbetriebe und damit für die Emigration vieler kreativer Konfektionsspezialisten. Ihr Vermögen fiel ans Reich. Nutznießer in diesem Wettlauf um das jüdische Eigentum waren ehemalige Konkurrenten, Mitarbeiter oder Spekulanten. Neue „arische“ Modesalons entstanden und fertigten im großen Stil in Kooperation mit Zwangsarbeitslagern und Konzentrationslagern. Uwe Westphal endete mit einem Appell daran, gerade diesen Teil der Geschichte der Berliner Mode – die Entrechtung, Ausgrenzung und Ermordung der als Juden Verfolgten – nicht zu vergessen, sondern aktiver daran zu erinnern.

Nach dem zweiten Weltkrieg findet Berlin lange Zeit nicht wieder zur alten Bedeutung in der Mode zurück. Angesichts der Entwicklung Berlins zu einer modernen Stadt mit großem Anziehungspotenzial für Start-ups und junge Kreative stellt sich nun die Frage: Was ist heute los in Sachen Mode in Berlin? Und morgen?

Ein Blick nach vorn: Neue und andere Wege im Modesystem von Berlin

Dr. Antonella Giannone gibt Antworten auf diese Fragen. Sie ist Professorin für Modege­schich­te und -theorie an der Kunsthochschule Weißensee, die namhafte Designer hervorgebracht hat.

Antonella Giannone (Foto: BBWA)

„Made in Berlin: Gegenwart und Zukunft einer anderen Modestadt“ hieß der Titel ihres An­schlussvortrages. Ihr vertiefender Blick auf die Mode von heute und morgen begann im Jahr 1960. Sie begründete diesen Zeitpunkt mit der Änderung des Modesystems, das 1860 be­gann und nach 100 Jahren 1960 sein Ende fand. Für die Mode nach der Mode gibt es neue, andere Kriterien. Die neue Mode ist eine Alternative zur alten Tradition. Neue Richtungen und Ansätze bringen die Mode in ein Beziehungsgeflecht mit der transmedial zu verortenden Kultur des Urbanen. Dabei beeinflusst die Stadt die Mode und die Mode die Stadt.

In Sachen „Made in Berlin“ heißt dies, dass die Mode auf die stadtspezifische Situation reagiert und sich wirksam verbindet – dabei kann es sich um das digitale, gesellschaftliche und politische, architektonische, mediale oder mobile Stadtleben handeln.

So wird Mode ganz selbstverständlich zum Teil der urbanen Kultur und spiegelt diese wider. Und inspiriert sie. Zum Beispiel beim Recycling unter ökologischen und ökonomischen Gesichts­punkten: „Schmidt Takahaschi“ schneidern nachhaltige Unikate aus Altkleidern. Oder Natascha von Hirschhausen, die sich mit einer ethischen Modegestaltung einen Namen gemacht hat: Sie betreibt für ihre Mode eine innovative Schnittführung und dem Ziel, Verschnitt sowie Abfall bei der Produktion zu vermeiden und einen möglichst effizienten Stoffverbrauch zu erreichen.

Viele solcher unterschiedlichen, nachhaltigen, intelligenten aber auch absurden Intentionen finden im Modetreffpunkt Berlin zusammen. Damit ist Berlin dabei, eine neue Ästhetik in High-Fashion und Mode-Design zu erreichen. Modeausstellungen boomen. Die Debatte um Museum und Fashion ist im Gange. Dadurch werden neue Allianzen, Experimente, Modetheorien angeregt, ständig neue Ideen produziert.

Berlin hat den Trend interpretiert, dass die Mode sich heute mit anderen Bereichen verbindet und diese wiederum die Mode beeinflussen. Sie orientiert sich nicht mehr an klassischen Standards, und sie ist dabei die Realität eines riesigen Kreativpotentials in sich aufzunehmen. Damit können neue und andere Wege im Modesystem von Berlin ausgehen. Eine Chance für die Zukunft.

Bei der anschließenden Diskussion wurden offen Fragen gestellt – insbesondere die Frage, ob das gezeigte kreative Potenzial auch in wirtschaftliche Betätigung umgemünzt werden könne; ob also wie die Konfektion aus den heutigen Entwürfen einzelner bemerkenswerter Designer „Massenware“ und damit erfolgreiche Unternehmungen entstehen könnten. Eine Antwort hierauf konnte der Abend nicht geben.

Beim Imbiss mit Getränken blieb Zeit für Gespräche.

Text: C. Berghausen

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