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12. Industriekulturabend mit Podiumsgespräch im Goldbergersaal

v.l.n.r. Wengenroth, König, Dürr, Stahl und Irmer (Foto: BBWA)

Von der Elektropolis zur digitalen Metropole Berlin

Nicht zum ersten Mal entwickelt sich Berlin als Hoffnungsträger und Impulsgeber für neue Technologien. Vor mehr als 100 Jahren erkannte Emil Rathenau die Zukunftschancen der Elektrizität und ebnete so den Weg zur Elektropolis Berlin. Eine Entwicklung, die untrennbar mit der Geschichte Berlins verbunden ist. Damals, im Berlin des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, entstand eine boomende Elektroindustrie, die neben zahlreichen kleinen Firmen auch die AEG, Telefunken, Loewe und Siemens hervorbrachte.

Hält die Geschichte Berlins mit Berlin als kreative Gründermetropole der Industrie 4.0. jetzt eine Wiederholung bereit? Lohnt sich vor diesem Hintergrund ein Blick in die Zukunft? Hat Berlin wieder neue Rathenaus? Diese Fragen standen gestern Mittelpunkt eines Podiumsgespräches, das vom Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv und seinem Kooperationspartner, dem Verein für die Geschichte Berlins, anlässlich des 12. Industriekulturabends veranstaltet wurde.

Es diskutierten Heinz Dürr, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der AEG, Prof. Dr. Wolfgang König, Technische Universität Berlin, Prof. Dr. Ulrich Wengenroth, Technische Universität München, und Johannes Stahl, Geschäftsführer Werk21, auf dem Podium des Goldbergersaals des Vereins der Berliner Kaufleute.

Rathenau: vom Kunden her denken

Der Berliner Historiker Thomas Irmer moderierte das Gespräch nach seinem einleitenden Vortrag, der den Anteil Emil Rathenaus an der Entwicklung Berlins zur Elekropolis beleuchte. Als wesentlichen Schritt auf diesem Weg nannte Irmer Verhandlungen Rathenaus mit dem Berliner Magistrat im Jahr 1884, mit denen er die Idee durchsetzen konnte, möglichst viele Bezirke von einer Zentralstation aus mit elektrischem Strom zu versorgen, statt wie bis dahin für jeden Abnehmer eine eigene Versorgungsanlage zu errichten. Als im gleichen Jahr dann die “Städtischen Elektricitäts-Werke AG zu Berlin” gegründet wurden, war die Geburtsstunde der deutschen Elektrowirtschaft erreicht. Als Kaufmann und Ingenieur mit Visionen, der nicht nur die Installation von Glühbirnen sah, sondern schon an große Kraftwerke dachte, hat er die AEG gegründet. Mit den vielen möglichen neuen elektrischen Anschlüssen, vom Bügeleisen bis zur Glühbirne, wurde vieles bequem, einfach und leicht – alles Attribute die als Schlüsselworte auch auf die neuen digitalen Produkte passen, betonte Irmer und leitete damit das Podiumsgespräch ein.

Die Diskutanten: Annäherung an Rathenau

Zu Beginn des Gespräches ging es für jeden Teilnehmer erst einmal darum, darzulegen, aus welcher eigenen Sicht sie sich Emil Rathenau nähern.

Heinz Dürr, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der AEG, ist Rathenau-Kenner seit 1983, als die AEG anlässlich ihres 100jährigen Bestehens Historiker mit einer Studie über Emil Rathenau beauftragt hat, die er eng begleitete. Er charakterisierte Rathenau als einen Unternehmer, der aus der Sicht des Kunden gedacht hat: „Was wollen die Leute? Licht und Hausgeräte?“ – dann baue ich von der Großturbine bis zum Bügeleisen also die notwendigen Maschinen!“

Prof. Dr. Wolfgang König, TU Berlin, Autor des Buches „Wilhelm II. und die Moderne. Der Kaiser und die technisch-industrielle Welt“, hat darin auch die Beziehung des Kaiser zu Rathenau untersucht und kommt zu dem Schluss, dass Kaiser Wilhelm II. und Rathenau wechselseitig voneinander profitiert haben. Wilhelm II. gab sich als Mann der Technik – Rathenau bzw. die AEG profitierten von seiner Förderung.

Johannes Stahl, Geschäftsführer von Werk21, einem Unternehmen aus der Medienbranche, vergleicht die Zeit Emil Rathenaus mit dem Heute und stellt fest, dass die IT-Wirtschaft heute noch nicht so weit ist wie die Elektrowirtschaft damals. Die Realität zeige leider, dass Informatiker, die in der Berliner TU ausgebildet werden, in Berlin keinen adäquaten Arbeitsplatz finden. Großgründungen, wie Rathenau sie geschaffen hat, gibt es nicht. Jedoch hat er einen Weg vorgezeichnet, der zum Vorbild gereichen könnte und in jedem Fall inspiriert.

Prof. Dr. Ulrich Wengenroth, TU München, forscht über die Geschichte der Technik in der Moderne. Auch er sieht die kunden- und marktorientierte Sicht Rathenaus und subsummiert dies in dem Satz: „Rathenau denkt allgemein elektrisch – mit Strom kann man alles machen“. Und genau das finde sich im Firmennamen der AEG wieder: „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“. Dabei sei der Name schon das Programm. Aufgegriffen wurde dies unter anderem von „General Electrics“ und der „compagnie générale d’electricité“.

Von der Wichtigkeit der Kultur des Scheiterns

Im weiteren Verlauf des Gespräches wurde ein prägnantes Bild von Rathenau gezeichnet, das einen ungebrochenen Unternehmergeist zeigt, der zwar mehrfach scheiterte, aber immer wieder den Neubeginn wagte. Generell zeige überhaupt die Kultur des Scheiterns, wie wichtig Niederlagen seien, um weiterzukommen und Erfahrungen zu sammeln. Ãœber mehrere biografische Stationen Rathenaus kam es immer wieder zu der Frage: Was ist heute anders? Und inwiefern kann die heutige IT-Branche aus den Erfahrungen Elektrowirtschaft von damals lernen – und kann ein Vergleich gezogen werden?.

Heute ist Berlin ein internationaler Dreh- und Angelpunkt für Innovationen, kreative Konzepte und smarte Lösungen. wenn es um Digitales Know-how geht Hier ist sich die Gesprächsrunde einig, dass dies auf der historischen Entwicklung basiert und dass die Elektrotechnik die Mutter der digitalen Metropole von heute ist. Beide seien als Schlüsselindustrien zu bezeichnen, die die Welt verändert haben, die sie bequem machen.

Rathenau als Ingenieur und Kaufmann

Herr Immer stellte die Frage in den Raum, ob Emil Rathenau als ausgebildeter Ingenieur mehr Kaufmann oder mehr Ingenieur gewesen sei. „Beides“, antworteten die Podiumsteilnehmer. Der Eindruck, Rathenau sei eher Kaufmann gewesen, rühre vor allem daher, dass man ihn in der Betrachtung mit Werner von Siemens kontrastiert habe, führte Prof. König aus. Zu dessen Bild in der Geschichte gehöre eine gewisse Festlegung auf „Siemens als Wissenschaftler“. Dabei sei Siemens – über den es unvergleichlich viel mehr Quellen gebe als zu Rathenau – auch beides gewesen: Kaufmann und Unternehmer. Beide, Siemens und Rathenau, seien „Vollblutunternehmer“, die die Chancen ihre Zeit erkannt hatten.

800 Pfund schwere Gorillas und die Chancen der Zukunft

Im Vergleich jedoch zeigen die Diskutanten einen wesentlicher Unterschied auf: Die Reichshauptstadt Rathenaus bot politisch wie ökonomisch einen günstigen Rahmen für neue Märkte. Es gab in Berlin nicht viele große Unternehmen – wie beispielsweise im Ruhgebiet Thyssen und Krupp. Diese „800-Pfund-Gorillas“ hätten es verunmöglicht, dass in der gleichen Branche neue Großunternehmen als Neugründungen auf ein ähnliches Niveau bringen konnten. Der Ausweich auf neue Geschäftsfelder und Technologien – und andere Standorte – versprach hingegen reelle Chancen. In dem jungen Wirtschaftszweig Elektroindustrie gab es noch keine echte Konkurrenz. Heute sind die Spielregeln in Berlin und überall anders: Die marktführenden Positionen der mächtigen global agierenden Technologie-Unternehmen Amazon, Google, Facebook, eBay, Apple & Co. sind präsent, um jede kreative Idee wie ein 800 Pfund schwerer Gorilla zu schlucken – in Berlin und weltweit. Denn diese Branche ist vom Wesen her global und lässt keine Ausweichstandorte zu. Daher sei heute eher unwahrscheinlich, dass sich aus einer „Garage im Wedding“ ein kreativer Industriemagnat, ein neuer „deutscher Google“ hervortut.

Aber wo lohnt sich die Zukunft? Die Chancen liegen woanders: einmal bei den kreativen Dienstleistungen, die immer besser werden und der IT-Branche ein stabiles Rückgrat geben. Zum anderen in der digitalen Aufrüstung der Industrien, in denen Deutschland gut aufgestellt ist, insbesondere beim wichtigen Thema Digitalisierung der Produktion. Der Wirtschaftsstandort Berlin wird vor allem dann weiter wachsen, wenn er als Gründermetropole international so attraktiv bleibt wie bisher. Dazu gehört auch, dass noch mehr junge Unternehmen auf der Grundlage von internetbasierten Forschungsideen entstehen, die Internet und Produktion verknüpfen. Und: dass die hochqualifizierten Absolventen der Berliner Unis nicht zu den globalen Riesen abwandern, sondern in Berlin bleiben.

Fazit der Gesprächsrunde zu Emil Rathenau

Abschließend wurden die Diskutanten noch einmal aufgefordert, in kurzen Sätzen die Person Emil Rathenau zu charakterisieren. Prof. Wengenroth beginnt mit der Feststellung, dass Rathenau eine der frühen Figuren war, die einen Massenkonsum vorausgesehen haben – und zwar zu einer Zeit, als alle noch produktorientiert waren. Prof. König stellt Emil Rathenau auf die gleiche Stufe wie Werner von Siemens als einen der Großgründer in der deutschen Industrie. Heinz Dürr ist der festen Überzeugung, dass Rathenau – wenn er noch leben würde – heute an der Spitze der Digitalen Industrie stände. Als einziger Nicht-Rathenau-Experte wünscht sich Johannes Stahl das Selbstbewusstsein zurück, mit dem zur Zeit Emil Rathenaus gehandelt wurde, auch für den Standort Berlin.

von Chr. Berghausen

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