Wirtschaftsgeschichte
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Schwintzer & Gräff – Vom Petroleumbrenner über den Prunklichtträger zur Produktion von Bauhaus-Lampen

Als die Firma Schwintzer & Gräff 1928 die ersten industriell hergestellten Exemplare der berühmten Tischleuchte WG 24 von Wilhelm Wagenfeld im Auftrag des Bauhauses auf dem Markt brachte, blickte das Unternehmen schon auf eine 64-jährige Geschichte zurück.

Carl Eduard August Philipp Schwintzer, 1890 (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Die Anfänge des Unternehmens sind bescheiden. Nach seiner Meisterprüfung als Blechschmied gründet Carl Eduard August Schwintzer (1836-1911) zusammen mit Wilhelm Gräff 1864 die Firma Schwintzer & Gräff in einem Wohnhaus in der Stallschreiberstraße 47 (Berlin-Kreuzberg). Es handelt sich hierbei um ein Grundstück, dass zwei Innenhöfe besitzt und an die Sebastianstraße 18 anschließt, die dann um 1871/1872 zum Firmensitz wird.

Links: Wohnhaus in der Stallschreiberstraße 47. Rechts: Geschäftshäuser der Sebastianstraße 18/19 (Quelle: Fünfzig Jahre Schwintzer & Gräff. Moderne Beleuchtungskörper. Berlin: Elsnerdr., 1914)

Hier werden zunächst mit wenigen Arbeitern die unterschiedlichsten Beleuchtungskörper fertiggestellt, „angefangen beim einfachen Petroleumbrenner“ (u. a. der so genannte Sebastianbrenner) „bis zum größten Prunklichtträger“, wie das Unternehmen im Juni 1914 anlässlich des 50. Jubiläums in seiner „Gedenkmappe“ verkündet (1).

Richard Müller, Inhaber von 1888 – 1910 (Quelle: Fünfzig Jahre Schwintzer & Gräff. Moderne Beleuchtungskörper. Berlin: Elsnerdr., 1914)

1888/89 kommt es zu einem Inhaberwechsel. Statt Wilhelm Gräff wird Richard Müller neuer Mitinhaber. Inzwischen hat sich das Unternehmen auf dem Markt etabliert. Die Firma „Schwintzer & Gräff – Lampen-, Bronze- und Zinkwarenfabrik und Export“ (seit 1892) verkauft ihre Ware in ganz Deutschland und im Ausland. Aus den Unterlagen ist zu entnehmen, dass 1889/1890 der in New York lebende Albert Gräff als Kläger gegen eine Firma auftritt, die anscheinend Patentrechte von Schwintzer & Gräff im Bereich der Rundbrenner verletzt hat. Zudem zeigen private Briefe, dass Richard Müller 1891 in Russland gewesen ist, um dort Lampen zu verkaufen.

Maria Carolin Schwintzer, geb. Lohse, 1890 (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Aus der 1867 geschlossenen Ehe Carl Schwintzers mit Maria Caroline Lohse (1845-1924) gehen vier Kinder hervor. Der älteste Sohn Willy Carl Eduard (1869-1946) tritt in die Fußstapfen seines Vaters. Mit 16 Jahren verlässt er das „Graue Kloster“ und macht eine Lehre als Blechschmied und absolviert die Meisterprüfung. Danach begibt er sich auf Reisen. Er arbeitet ein Jahr als Volontär bei der Firma Falk, Stadelmann & Co., die in London, aber auch in anderen englischen Städten, eine Lampenfabrikation hatte. Danach hält er sich in Frankreich, Schweden und Russland auf. 1900 übernimmt er die Fabrik seines Vaters.

Bronzekronen mit reichem Kristallbehang (Durchmesser 1,40 m) im Café Moritzplatz, altes Wertheimhaus, Oranienstraße (Quelle: Fünfzig Jahre Schwintzer & Gräff. Moderne Beleuchtungskörper. Berlin: Elsnerdr., 1914)

Willy Schwintzer ist es, der das Unternehmen durch große Aufträge noch bekannter macht. Die Kristall-Deckenbeleuchtungen im Olympiatheater in Dortmund sowie Beleuchtungskörper in den dort angeschlossenen Restaurants und der Bar, Bronzekronen mit Kristallbehang und andere Beleuchtungskörper im Parkhause des Bürgerparkvereins in Bremen, Lampen für den Wartesaal der 1. und 2. Klasse des Bahnhofes Köln-Deutz, die Beleuchtung des Restaurant-Cafes Eden in der Oranienstraße in Berlin und des Cafés Moritzplatz im alten Wertheim-Kaufhaus gehören zu diesen Projekten.

 

 

Wie gut es der Firma geht, zeigt sich auch daran, dass Willy Schwintzer 1914 das Grundstück Grunewaldallee 7 (heute Argentinische Allee) in Zehlendorf erwirbt und sich dort von dem bekannten Schweizer Architekten Otto Rudolf Salvisberg (1882-1940) eine Villa bauen lässt.

Links: Richtfest 1914. Rechts: Villa in der Grunewaldallee 7 (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Er zieht dort mit seiner Frau Emma und seinen drei Kindern ein. Der vierte und jüngste Sohn wird dort 1915 geboren.

Urkunde zum Bau der Villa, gezeichnet von Franz Haegele, 1914 (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Die obige Urkunde ist vom Architekten Franz Haegele gezeichnet worden, mit dem Willy Schwintzer ab 1915 zusammenarbeitet und mit dem die Firma Schwintzer & Gräff an die künstlerischen Strömungen der Zeit anschließt. Haegele wird leitender Gestalter für die modernen und futuristischen Leuchten in der Firma. Er nannte diese Produkte moderne „RaumGlieder und Licht-Spender“, die dann als Stilelemente der Innendekoration zu Kunstwerken des Jugendstils geworden sind.

Schwintzer & Gräff gehört in den 20er Jahren zur Avantgarde der Lampenindustrie und ist auf vielen Messen in Deutschland und in Europa vertreten. Eine dieser Messen ist die 1920 gegründete Grassimesse in Leipzig. “Sie sollte der kommerziellen Massenware, die auf den Mustermessen angeboten wurde, Paroli bieten und durch ihren hohen Qualitätsanspruch überzeugen. Durch die Einführung eines strengen Juryprinzips der damaligen Museumsleitung wurde die Grassimesse innerhalb kürzester Zeit zu einem europaweit anerkannten Forum für die „Kunstgewerbe“-Elite.” (2)

Prospekt zur Messe im Grassi-Museum, 1925 (BBWA S2/13/166)

Auf dieser Messe treffen sich auch viele Bauhauskünstler. Vielleicht ist dies der Ort, an dem Marianne Brandt, die zuständig gewesen ist für die Metallwerkstatt am Bauhaus und für die Zusammenarbeit zwischen der Gestaltungsschule und Industrie, auf Schwintzer & Gräff, aufmerksam geworden ist.

„Mit der Firma Schwintzer & Gräff (Berlin) wurde im Frühling 1927 ein Produktionsvertrag abgeschlossen. Schwintzer & Gräff übernahm die serielle Herstellung bereits vorhandener Lampenmodelle des Bauhauses. Im Jahr 1928 werden 53 Bauhauslampen-Modelle hergestellt. Die Zusammenarbeit war aber kurzlebig, denn der Vertrag wurde schon 1930 wieder aufgekündigt, wie ein Protokoll der Geschäftsausschusssitzung vom 10.04.1930 belegt: Der mit der Firma Schwintzer & Gräff, Berlin laufende Vertrag wegen Vervielfältigung der älteren Lampenmodelle ist zum 30.9.30 gekündigt worden. Nach diesem Punkt steht dem Bauhaus das Recht zur Herstellung dieser Typen wieder zu.“ (3)

Marianne Brandt ist am Ende mit den Ausführungen von Schwintzer & Gräff im Detail nicht zufrieden gewesen, aber der Kreuzberger „Fabrik für Beleuchtungskörper“ verdanken sich dennoch Kunstwerke, die heutzutage antiquarische Höchstpreise erzielen. Eine der Bauhaus-Ikonen, die „Tischleuchte WG 24“ von Wilhelm Wagenfeld, heute kurz „Wagenfeld-Lampe“ genannt, wurde hier, wie oben erwähnt, 1928 erstmals industriell gefertigt.

Ebenfalls um 1930 kommt es zur Trennung zwischen Willy Schwintzer und Franz Haegele, der anschließend für die gleichfalls bekannte Firma Spinn Beleuchtungskörper GmbH in Berlin arbeitet.

Vorderseite eines Kataloges der Schwintzer Lampenfabrik GmbH (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Die Produktion bei Schwintzer & Gräff geht weiter. 1929/30 entsteht in Zusammenarbeit mit den Architekten Erich Mendelsohn und R. W. Reichel für das Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes (heute: IG-Metall-Haus) die Treppenhaus-Lampe, die in ganzer Höhe Licht für den Wendeltreppen-Aufgang spendet. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, wurde das Gebäude 1995 denkmalgerecht saniert und die Lampe als Nachbau wieder an Ort und Stelle gehängt.

Die Bedeutung des Unternehmens, das laut Berliner Adressbücher ab 1935/36 als Schwintzer Lampenfabrik GmbH firmiert, wird nochmals deutlicher anhand eines Fotos von 1930. In dem Jahr versammelt der New Yorker Kinobesitzer Samuel Lionel „Roxy“ Rothafel namhafte Architekten im Hotel Esplanade in Berlin, um mit ihnen über die Planung eines Theaterbaus in New York zu sprechen. Willy Schwintzer und sein Sohn Carl (1906-1991) finden sich hier zwischen den bekanntesten Architekten ihrer Zeit: Walter Gropius, Hans Poelzig, Erich Mendelsohn, Max Taut, Michael Rachlis und Hugo Häring.

Plan für den Kronleuchter für den Zuschauerraum in der Staatsoper Berlin, 1941 (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

1941 erhält die Firma den Auftrag, zur Wiederherstellung der Staatsoper Berlin mit dem Bau eines Kronleuchters für den Zuschauerraum beizutragen. Dieser ca. 1.000 kg schwere Leuchter, der rund 100.000 Reichsmark gekostet hat, leuchtet bei der Neu-Eröffnung am 12. Dezember 1942. Beim Luftangriff vom 3. Februar 1945 wird der Zuschauerraum allerdings getroffen und der Leuchter zerstört.

Von links: Emma Schwintzer (1882-1956), Annemarie Schwintzer (1907-1986), Willy Carl Eduard Schwintzer (1869-1946), Peter Schwintzer (1911-1988), Kinderfrau, Hermann Schwintzer (1915, verschollen seit 1944), Carl Schwintzer (1906-1991) (Quelle: Gabriela und Peter Schwintzer)

Auch die Fabrik und die Musterräume in der Sebastianstraße werden 1944 durch Bombentreffer zerstört. 1946 versuchen Carl Schwintzer, der älteste Sohn Willy Schwintzers, zusammen mit seiner Mutter Emma Schwintzer die Firma wiederaufzubauen, was aber nicht gelingt. Um 1949 ist die Geschäftstätigkeit des Unternehmens endgültig beendet, seine Produkte haben aber noch heute Leuchtkraft.

Quellen:

Umfangreiches Material wurde uns dankenswerter Weise von der Familie Schwintzer zur Verfügung gestellt.

(1) Fünfzig Jahre Schwintzer & Gräff. Moderne Beleuchtungskörper. Berlin : Elsnerdr., 1914. 36 Bl.

(2) Geschichte der Grassimesse Leipzig. In: Webseite Grassimesse Leipzig. Verfügbar unter: http://www.grassimesse.de/de/geschichte/ (letzter Zugriff: 04.09.2019)

(3) Sebastian Neurauter. Das Bauhaus und die Verwertungsrechte: eine Untersuchung zur Praxis der Rechteverwertung am Bauhaus 1919 – 1933. Tübingen: Mohr Siebeck, 2013. S. 354f.

Text: Thiago Benites, Tania Estler-Ziegler, Björn Berghausen

 

 

 

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