Wirtschaftsgeschichte
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Kein Hindernis für die Brüder Sass

Werksgelände der Firma S. J. Arnheim im Weddng (BBWA S 7/1698)

Tresorfabrik S. J. Arnheim

Die „Tresorfabrik S. J. Arnheim“ war einer der ersten Betriebe überhaupt, der sich auf die Herstellung von Geldschränken spezialisierte. Der Kunstschlosser Simon Joel Arnheim (1802-1875) gründete die Firma im Jahr 1833 in Berlin und war bald ein erfolgreicher Fabrikbetreiber. Als „Königlicher Hofschlosser und Fabrikant“ belieferte er Unternehmer und Bankhäuser mit Geldschränken und später mit ganzen Tresorräumen. Sein Sohn Carl (1851-1905) verlagerte die Produktionsstätte von der Rosenthaler Straße (nahe des „Feuerland“ genannten Industriegebiets) in den nördlich gelegenen Stadtteil Wedding.

Ab 1893 wurde in der neu errichteten Fabrik in der Badstraße produziert, und durch moderne Werkzeugmaschinen, Arbeitsteilung und Akkordarbeit konnte die Firma ihre Umsätze steigern und stark expandieren. 1897 waren etwa 400 Arbeiter bei Arnheim beschäftigt. Der 1. Weltkrieg stürzte die Firma in die Krise: Wegen Rohstoffverknappung und Einberufung der Arbeiter musste die Produktion reduziert und teilweise auf Rüstungsgüter umgestellt werden. Nach Kriegsende konnte der Betrieb nur mit deutlich verringerter Belegschaft weitergeführt werden, und die Firma konnte nie wieder die Marktstellung erreichen, die sie vor dem 1. Weltkrieg hatte. Auch die starke Berliner Konkurrenz, allen voran die Tresorfabrik Ade, brachte Arnheim in Bedrängnis. 1928 entwickelte Ade den Nachttresor und konnte sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil vor der Firma Arnheim verschaffen. Der drohenden Pleite im Jahr 1929 entging Arnheim nur durch den Verkauf an den Konkurrenten Ade. Im Anschluss an die Fusion kam es zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und zu Entlassungen, und der Sommer 1929 war geprägt von wochenlangen Arbeitskämpfen. In den folgenden Jahren verhinderten die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise den erhofften Aufschwung für den jetzt Ade-Arnheim genannten Betrieb. 1931 kam es zu einem Vergleichsverfahren, um einen Konkurs abzuwenden.

Die Brüder Sass und der Tresor von Arnheim

Im Januar 1929 hatte die Firma Arnheim unfreiwillige Aufmerksamkeit erhalten: Die Brüder Franz und Erich Sass führten einen spektakulären Bankeinbruch bei der Disconto-Gesellschaft am Wittenbergplatz durch. Sie waren durch einen Tunnel und einen Lüftungsschacht in den (von Arnheim hergestellten) Tresorraum gelangt, hatten die Tür von innen blockiert und sich dann an den Kundenschließfächern zu schaffen gemacht. Als sich am Montagmorgen der Tresorraum nicht öffnen ließ, ging die Bank zuerst von einer Funktionsstörung aus. Doch auch die hinzugezogenen Spezialisten der Firma Arnheim konnten den Tür nicht öffnen. Daraufhin wurde in vierzehnstündiger Arbeit die Mauer neben der Tresortür durchbrochen, nur um festzustellen, dass 179 von 181 Schließfächern ausgeraubt worden waren.

Nach einem Rechtsstreit mit der Firma Ade über die Kaufverträge von 1929 war die Familie Arnheim (Carl Arnheims Witwe Dorothea sowie die Söhne Felix und Siegmund) vorübergehend wieder im Besitz des Betriebes. Im Zuge der sogenannten „Arisierung“ wurde die jüdische Familie 1938 enteignet und das Fabrikgrundstück zwangsversteigert. Neuer Besitzer wurde die Kabelfabrik Frischeisen & Co., die die Produktion weiterführte – während des Krieges auch mit ausländischen Zwangsarbeitern. Dorothea Arnheim wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 1. November 1942. Felix und Siegmund Arnheim wurden ebenfalls 1942 nach Riga deportiert. Ãœber ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt, sie gelten offiziell als verschollen.

Nachdem die Fabrik 1944 bei Bombenangriffen teilweise zerstört wurde, verließ die Firma Frischeisen den Standort an der Badstraße. Nach Kriegsende wurde unter wechselnden Besitzern und Firmennamen die Produktion von Tresoren fortgeführt. Von 1966 bis 1967 wurde das ehemalige Arnheim-Gelände zum Gewerbehof umgestaltet. Die 1844 erbaute Mühle, die Carl Arnheim zusammen mit dem Grundstück erworben hatte, wurde 1977 unter Denkmalschutz gestellt und zum Bürogebäude umgebaut. 1983 wurden alle Fabrikgebäude bis auf die ebenfalls denkmalgeschützten „Shed“-Hallen abgerissen. Seit 1985 werden die Hallen vom Berufsverband Bildender Künstler Berlin als Bildhauerwerkstätten genutzt. Auch das ehemalige Wohnhaus der Familie Arnheim ist erhalten. Das auf dem Firmenareal gelegene Ufer des Flusses Panke ist seit 1988 ist wieder begrünt und für die Öffentlichkeit zugänglich. Unter dem Namen „Ade-Arnheim“ werden weiterhin bzw. wieder Tresore gebaut: Seit 2012 ist Ade-Arnheim eine Marke der Bössinger GmbH, die zur Firma Mauser-Waldeck in Osnabrück gehört.

Chronik

1802
Simon Joel Arnheim wird in Margonin (Polen) geboren, er erhält in Berlin die Schlosserausbildung und anschließend in Wien und Paris die Kunstschlosserausbildung

1833
Gründung der „Tresorfabrik S. J. Arnheim“, Spezialisierung auf den Bau feuerfester Kassen- und Panzerschränke, Standort: Friedrichstraße 39

1834
S. J. Arnheim heiratet Johanna Hannchen (1807–1864)

1848
S. J. Arnheim ist mit der Bezeichnung „königlicher Hofschlosser und Fabrikant“ als Eigentümer des Wohn- und Geschäftshauses in der Rosenthaler Straße 36 nachgewiesen

1851
Carl Arnheim wird geboren

1860
ca. 120 Arbeiter sind bei der Firma Arnheim beschäftigt

1875
S. J. Arnheim stirbt, sein Sohn Carl übernimmt die Firma

1881
Carl heiratet Dorothea Pappenheim (geboren 1859 in Berlin), Felix Arnheim wird geboren

1883
Siegmund Arnheim wird geboren

1887
Beginn eines Wettstreits der Firmen Arnheim und Ade, die Tagespresse berichtet über öffentliche Sprengversuche von Tresoren usw.

1890
Erwerb des Grundstücks Badstraße 40/41

1892/93
der Wohn-Gewerbe-Block Badstraße 40/41 wird nach Plänen des Architekten Wilhelm Martens errichtet (Wohnhaus, Fabrikhalle, Inspektorenhaus, mehrere Lager- und Werkstattgebäude), eine ehemalige Mühle wird zum Restaurationsbetrieb umgebaut, eine offene Kegelbahn wird errichtet

ab 1893
maschinelle Produktion im großen Stil, Expansion, Ausbau des Exportgeschäfts, zeitweise Einrichtung einer Zweigfabrik in Budapest

1897
ca. 400 Arbeiter sind bei der Firma Arnheim beschäftigt

1897/98
Erweiterung der Fabrikation: die 180 Meter langen „Shed“-Hallen werden errichtet, der westliche Arm der Panke wird dafür zugeschüttet

1905
Carl Arnheim stirbt, seine Witwe Dorothea führt zusammen mit den Söhnen Felix und Siegmund den Betrieb weiter

1922
Abbruch der Kegelbahn

1928
die Konkurrenzfirma Ade entwickelt den Nachttresor

1929
Bankeinbruch der Brüder Sass bei der Disconto-Gesellschaft, Fusion Arnheims mit der Firma Ade, im Sommer Streiks wegen Entlassungen und verschlechterter Arbeitsbedingungen

1931
Vergleichsverfahren zur Abwendung eines Konkurses, die Fabrik ist de facto im Besitz der Dresdner Bank

um 1931
Rechtsstreit zwischen Familie Arnheim und Firma Ade: die Verträge von 1929 werden annulliert, die Familie Arnheim ist vorübergehend wieder im Besitz des Grundstücks Badstraße 40/41 und der Fabrik

1931
die „Verkaufszentrale Deutscher Geldschrank- und Stahlkammerfabriken GmbH“ wird von verschiedenen Tresorherstellern (u. a. Arnheim und Ade) gegründet und schon im folgenden Jahr wieder aufgelöst

ab 1932
Nutzung des Fabrikkomplexes durch andere Gewerbebetriebe, bauliche Veränderungen

1938
„Arisierung“: Zwangsversteigerung des Grundstücks auf Veranlassung der Dresdner Bank, neuer Besitzer: August Köck (Inhaber der Kabelfabrik Frischeisen & Co.), an der Badstraße wird Kabelproduktion und Tresorherstellung betrieben, während des Krieges Zwangsarbeit

1942
die Familie Arnheim wird deportiert: Dorothea Arnheim stirbt in Theresienstadt, Felix und Siegmund Arnheim sind in Riga verschollen

1944
das Bürogebäude und einige Werkstätten werden durch Bomben zerstört, die Fabrik Frischeisen siedelt in die Kühnemannstraße in Reinickendorf über

1966/67
Umbau des Areals zum Gewerbehof

1977
die vom Abriss bedrohte ehemalige Mühle wird unter Denkmalschutz gestellt und zum Bürogebäude umgebaut

bis 1980
die Gewerbemieter die verlassen die Fabrikhallen wegen der geplanten Neugestaltung des Geländes

1982-84
Zwischennutzung durch eine Kulturinitiative

1983
bis auf die denkmalgeschützten „Shed“-Hallen werden alle Fabrikgebäude abgerissen

1984-86
Umbau der Hallen und seitdem Nutzung als Bildhauerwerkstatt

1987/88
das Ufer der Panke wird wieder begrünt, ein Rückstaubecken wird angelegt

seit 2012
„Ade-Arnheim Tresorbau“ ist eine Marke der Bössinger GmbH (zur Firma Mauser-Waldeck gehörig) und produziert weiterhin bzw. wieder Tresore

von V. Linke

Quellen

Archivgut:

  • BBWA, S 7/1698: Briefkopf der Firma S. J. Arnheim (1922), Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv e. V.
  • BBWA, K 1/1/18062: Schriftverkehr der Industrie- und Handelskammer Berlin (1975-1980), Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv e. V.

Publikationen:

  • Dettmer, Klaus: Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Band 10: Wedding. Berlin 1988.
  • Engel, Helmut; Jersch-Wenzel, Stefi; Treue, Wilhelm (Hrsg.): Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse. Band 3: Wedding. Berlin 1990.
  • Freie Universität Berlin, Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung (Hrsg.): Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Berlin 1995.
  • Holtmeier, Ludwig: Truhen, Schlösser und Tresore. Mechanische Sicherungstechnik im Wandel der Zeit. Bad Wörishofen 1989.
  • Komander, Gerhild H. M.: Der Wedding. Auf dem Weg von Rot nach Bunt. Berlin 2006.
  • Schwerk, Ekkehard: Die Meisterdiebe von Berlin. Die Gebrüder Sass und die zwanziger Jahre. Berlin 2001.

Links:

Familie Arnheim:

  • http://www.de.wikipedia.org/wiki/Simon_Joel_Arnheim
  • http://www2.holocaust.cz/de/main

Grundstück Badstraße 40/41:

  • http://www.staedte-klamotten.com/619-0-Tresorfabrik-S-J-Arnheim.html
  • http://www.staedte-klamotten.com/624-0-Wohnhaus-Badstrasse-40—41.html
  • http://www.stadtentwicklung.berlin.de/cgi-bin/hidaweb/getdoc.pl?DOK_TPL=lda_doc.tpl&
  • KEY=obj%2009030172
  • http://www.bbk-kulturwerk.de/con/kulturwerk/front_content.php?idcat=46

Stadtteil Wedding:

  • http://www.de.wikipedia.org/wiki/Panke#Bezirk_Mitte_von_Berlin
  • http://www.de.wikipedia.org/wiki/Kulturgeschichte_der_Panke
  • http://www.panke.info/pages/geschichten/eine-wirtschaftsgeschichte-der-panke.php

Tresorbau:

  • http://www.extrasafe.de/Tresorbau
  • http://www.kahl-online.de/Informationen.htm
  • http://www.antiktresore.de/html/tresorfabriken_1.html
  • http://www.ade-arnheim.de

Firma Frischeisen & Co.:

  • http://www.baseportal.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/Pagenstecher/zwa_firmen_berlin/zwa_firmen_berlin&cmd=list&range=0,20&Firma~=frischeisen&cmd=all&Id=217

Brüder Sass:

  • http://www.de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCder_Sass
  • http://www.spiegel.de/einestages/gauner-legenden-a-948136.html

1 Kommentare

  1. Schön recherchiert. Nur leider in die fske-fslle getappt, wie viele Hilfesuchende Banken. Mauser war immer in Waldeck angesiedelt. Nie in Osnabrück. Der Website Anbieter in Osnabrück betreibt Etikettenschwindel. Siehe zum Vergleich erloschene Tresorfirmen: Baum, Mauser, Kellner, Krömer, Bössinger, Pohlschröder.. der Webbertreiber ist kein Hersteller!

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