Wirtschaftsgeschichte
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Berlin als Hafenstadt 1923

Am 3. Mai 2013 veranstaltet das Wirtschaftsarchiv den 6. Industriekulturabend zum Thema “Hafen und Hallen – 90 Jahre BEHALA und die Renaissance der Markthallen”. Aus diesem Anlass geben wir hier den Artikel der Fachzeitschrift “Speditions- und Schiffahrtszeitung” von 1923 zur Eröffnung des Westhafens wieder.

Speditions- und Schifffahrtszeitung vom 07.09.1923

Der Westhafen 1961 (BBWA K1/1/7332)

Von Generaldirektor Ulderup

Vorwort

Mit Genehmigung des Herrn Verfassers geben wir hiermit einen Aufsatz wieder, welcher der Geleitschrift zur Eröffnung des Berliner Westhafens und zur Inbetriebnahme der Neuorganisation der Berliner Häfen entstammt. Die Tatsache, daß eine große Kommune die Grenzen ihrer Leistungs-fähigkeit erkannt hat und daß der Spediteur hier mit kühnem Griff sich einer Aufgabe unterzogen hat, die weit über die Stadtwirtschaft Berlins hinaus von eminent volkswirtschaftlicher Bedeutung ist, die dabei aber durchaus dem Aufgabenkreise des Speditionsgewerbes zukommt. Läßt uns diesen Hergang als einen Markstein in der Entwicklung der deutschen Spedition bezeichnen.

Die Ãœbergabe des Berliner Westhafens an die Berliner Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft (BEHALA) fand in feierlicher Weise am 3. September 1923 statt. Sie erfolgte namens des Magistrats durch Oberbürgermeister Boess; für die Behala sprach Herr Ulderup, Generaldirektor der Berliner Häfen. Die Gesamtfläche des Westhafens beträgt 296’000 qm, und wird somit von den Berliner Häfen an Flächeninhalt nur übertroffen von dem Spandauer Hafen. Davon sind 220’000 qm Land- und 76 000 qm Wasserfläche. – Die nutzbare Uferlänge von 2’500 m bietet 68/600 t-Elbschiffen oder 104/200 t-Finowkähnen Anlegemöglichkeit, Ladegleise sind in nutzbarer Länge von 2’700 m vorhanden, und stehen damit in erster Linie der Berliner Häfen. – Die Lagerräume bieten in 5 archivtektonisch einheitlich, nach modernsten Gesichtspunkten aufgeführten Gebäuden Raum für 80’000 t Stückgut und für 29’000 t Getreide. Darüber hinaus sind 460’000 qm Freiladefläche für Stückgut und Massengüter vorhanden. – Für den Umschlag sind 17 Krane von einer Tragfähigkeit bis 2,5 t, einer bis 5 t und ferner ein Schwerlastkran mit 7,5 t Tragfähigkeit bei 13,9 m Ausladung.

Endlich sind an Sonderanlagen vorhanden eine Getreideförderanlage für 100 t/ Stunde und eine Kohlenverladeanlage für 10 t/ Stunde.

Blick von der Seestraßenbrücke in den Westhafen (Archiv der BEHALA)

Berlins Bedeutung als Weltstadt, der Anteil der Stadt am Aufschwung des Güterverkehrs, beruht auf ihrer verkehrsgeographisch günstigen zentralen Lage in Europa sowie auf ihren vorzüglichen Eisenbahn- und Wasserstraßenverbindungen. Freilich tritt der Charakter Berlins als Hafenstadt infolge der weitläufigen Verteilung der Hafenanlagen über das Stadtbild nur dem Eingeweihten klar vor Augen. Dem Laien wird es kaum glaubhaft erscheinen, daß Berlin der zweitgrößte Binnenhafen Deutschlands ist und nur von Duisburg-Ruhrort übertroffen wird. Dabei führt Berlin viel wertvolleres Gut als Duisburg-Ruhrort.

Der Umfang der in der „Behala” zusammengefassten Hafenanlagen Berlins beträgt im Augenblick 110 ha, der der Wasserfläche 35 ha, der Freiladeflächen 224’000 qm, der gedeckten Lagerräume 129’000 qm, der von 2 Kohlenlagern 35’000 qm; ferner treten hinzu 1 Benzinlager mit 1 Million Liter Tankraum, 30 km Gleisanlagen, 71 Krane, 4 Elevatoren im äußeren Dienst, eine Gesamtkailänge von 12 km.

Sind auch die Berliner Häfen schon jetzt von ausschlaggebender Bedeutung für den Güterverkehr, so werden sie aller Voraussicht nach an Wichtigkeit noch erheblich gewinnen, wenn erst alle infolge des Krieges und seiner Nachwirkungen zurückgestellten großen Wasserstraßenprojekte in Deutschland zu praktischer Durchführung gelangt sein werden. Legt doch die überaus günstige Lage Berlins im Netze der Wasserwege den Gedanken nahe, die Stadt im Laufe der nächsten Jahrzehnte zu einem Hauptknotenpunkt des mitteleuropäischen Handelsverkehrs zu machen, wobei gerade die Wasserverbindungen mehr vielleicht noch als die Eisenbahnlinien ungeahnte Steigerungsmöglichkeiten bieten.

Nach Westen vermittelt die südliche Havelwasserstraße und der Sakrow-Paretzer Kanal die Verbindungen mit Hamburg und der Nordsee, während der Plauener und Ihle-Kanal den Wasserweg nach Sachsen und der Tschechoslowakei verkürzt. Der geplante Weser – Elbe – Kanal führt über Hannover und den Ems – Weserweg zu den Industriebezirken des Westens, so daß auch die Möglichkeit einer Verbindung Berlin – Rhein – und dann Main – Donau – Kanal besteht. Nach Norden führt die Havel – Oder Wasserstraße (Hohenzollern- und Spandauer Schifffahrtskanal) über Stettin zur Ostsee nach Osten führt der Weg über Spree und Oder nach Oberschlesien, außerdem über Warthe, Netze, Weichsel, Pregel zur Memel, selbst bis nach Kowno.

Die Entfernungen nach einigen hier herausgegriffenen Hauptverkehrspunkten sind auch auf dem Wasserwege nicht allzu erheblich, z.B. bis Hamburg 370 km (Bahnlinie 521). Mit Ausnahme des Finow- und Landwehrkanals, die nur Finowkähne mit 250 tons Tragfähigkeit aufnehmen, gestatten alle übrigen Wasserstraßen Berlins den Verkehr mit 600 – bzw. 1’000t – Schiffen.

Die größte und neuzeitlichste der Berliner Hafenanlagen ist der nunmehr vollendete Westhafen, der rund 68’600 t Fahrzeuge aufzunehmen vermag. Aber auch seine Vollendung dürfte kein Schlußstein, sondern nur eine Etappe in der Entwicklung Berlins als Hafenstadt bedeuten. Ist doch mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß eine Erweiterung des Berliner Verkehrs auch Erweiterungen der Berliner Hafenanlagen und neue Pläne zeitigen wird. Ausgehend von dem Gedanken, den schon Herr Stadtrat Schüning darlegte, daß die Berliner Häfen im Kampf gegen die Verkehrsinteressenten nie rentabel gestaltet werden könnten, daß eine Gesellschaft für die Bewirtschaftung der Berliner Häfen gebildet werden müsse, die die Interessen der Berliner Häfen mit denen der Verkehrsinteressenten in Verbindung bringt, trat der Magistrat der Stadt Berlin in Verhandlungen mit Interessenten. Diese Verhandlungen führten zu der am 1. März 1923 erfolgten Abgabe der gesamten Berliner Hafenanlagen in Erbbaurecht auf 50 Jahre an die Behala (Berliner Hafen- und Lagerhaus A.-G., Generaldirektion der Berliner Häfen).

Im Bewußtsein der großen von der Gesellschaft übernommenen Aufgabe und um nach allen Richtungen hin den Anforderungen zu genügen, ist bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder mit ganz besonderer Sorgfalt vorgegangen worden. Wir finden sowohl die Einwirkung der Kommunen wie die der großen Banken, die Schifffahrtsgesellschaften, der industriellen Vertreter und der Verkehrsbetreibenden in weitestgehendem Maße berücksichtigt.

Die Leitung liegt in den Händen von Generaldirektor Ulderup.

Hauptgebäude der BEHALA 1963 (Archiv der BEHALA)

Es mußte eine weit ausholende Organisation gebildet werden, um die Entwicklungsmöglichkeiten zu gewährleisten, die vonnöten sind.

Wenn auch die technische Organisation so beschaffen ist, daß mit diesem Apparat an die Lösung der Aufgaben herangetreten werden kann, so ist es doch erwünscht, daß sich alle Verkehrs- und Gewerbetreibenden für die Ausnutzung und den zweckmäßigen Ausbau der genannten Einrichtungen tätig interessieren. Deshalb ist auch die Anlehnung an eine Verkehrsorganisation gesucht worden, die die Verbindungen mit allen in Fragen kommenden Interessenten herstellen kann, die einen weiten Überblick über den Umlauf der Güter bis ins Ausland besitzt, die den Güteraustausch zwischen allen Interessenten kennt und die nötigen vorteilhaft den Verkehr erleichternden Arbeitsmethoden anregen kann.

Die Firma Schenker & Co. Berlin hat sich in der Zentraldirektion A.-G. Schenker & Co. Berlin ein solches, in der Entwicklung der Verkehrsgeschichte ganz einzigartiges Instrument geschaffen. Es war, da diese Organisation ganz neutral arbeiten kann, selbstverständlich, daß man auch für diese Zwecke nicht eine neue teure Organisation schuf, sondern sich dieses modernen Instruments für die Bearbeitung der Aufganben bediente.

Die Ziele des großangelegten Unternehmens

Umschlag ex Schiff (Archiv der BEHALA)

gehen im wesentlichen darauf hinaus, die gewaltigen Verkehrsanlagen der Berliner Häfen trotz der wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse, die sich gerade in der Binnenschifffahrt besonders entscheidend bemerkbar maschen, durch erhablich verstärkte Güterzufuhr weit mehr, als es bisher geschehen konnte, auszunutzen. Einerseits gilt es natürlich, durch Ausbau und weitere Entwicklung der Gesamtheit der Verkehrseinrichtungen, durch Erzielung enger Zusammenarbeit zwischen Eisenbahn, Schifffahrt, Kraftwagen, Straßeneisenbahn und Fuhrwesen, kurzum durch bessere Einspielung dieser Verkehrsmittel aufeinander einen erleichterten Güteraustausch zu ermöglichen und so Verkehrserleichterungen zu schaffen, für den allgemeinen Groß-Berliner Bedarf in weitestem Sinne. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß die ganz modern eingerichteten Lagerhäuser mit ihrer denkbar größten Sicherheit gegen Feuer und Diebstahl willkommene Gelegenheit bieten, die sicher gelagerten, Riesenwerte darstellenden Waren zu bevorschussen.

Andererseits aber heißt es für die Behala, nicht nur nach lokalen Gesichtspunkten, sondern darüber hinaus verkehrspolitisch so zu operieren, daß sie in großem Umfange auch andere Handelsbeziehungen auf sich zieht und diese dauernd an sich fesselt, daß Berlin also nicht nur, wie bisher, lediglich die Güter, die zu seinem unmittelbaren Verbrauch dienen, auf sich zuströmen läßt. Gelingt dies in dem erhofften Umfange, so dürfte der Plan, in Berlin einen Stapel- und Transitplatz zu schaffen, in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden.

Gerade ein gut organisierter, von manchen der bisherigen Hemmungen befreiter Binnenschifffahrtsverkehr, der sich mit weitreichenden internationalen Beziehungen verbindet, wie sie der Schenker’s Transport-Organisation eigen sind, dürfte zur Hebung von Berlins Bedeutung als Handels- und Industriestadt wesentlich beitragen, vorausgesetzt natürlich, daß es gelingt, die Interessen der Binnen- und Seeschffahrt mit denen der Berliner Häfen eng zu verbinden durch Heranziehung von Persönlichkeiten und Unternehmungen, die in der Binnen- und in der Weltwirtschaft stark engagiert sind.

Je mehr es ferner gelingt, für Berlin bestimmte Waren sofort nach Berlin zu verfrachten, statt sie erst in den Seestädten einzulagern, um so eher wird Berlin in die Lage versetzt werden nach Schaffung eines Freihafens zu einer internationalen Empfangs- und Versandstation größten Stiles emporzuwachsen.

Es steht zu hoffen, daß der Uebergang der Berliner Häfen in die Leitung der Privatwirtschaft auch ihren Aufgabenkreis erheblich weiter spannen wird, daß der Aktionsradius binnen kurzem weit hinausgreifen wird über die Enge der bisherigen Grenzen, und daß wir nunmehr trotz aller Hemmungen, denen Deutschland ausgesetzt ist, für die Berliner Häfen am Anfang einer Entwicklung stehen, die der Hauptstadt des Deutschen Reiches auch eine Vormachtstellung als Hafenstadt verleiht.

Aus: Speditions- und Schifffahrtszeitung, 31. Jg., Nr. 36 vom 07.09.1923

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