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Historische Woche in Wittenau

Dass der Reinickendorfer Ortsteil Wittenau eine vielfältige Geschichte hat, bringt interessierten Bürgerinnen und Bürgern jedes Jahr die „Historische Woche“ eines Partei-Ortsverbandes ins Bewusstsein. Dann finden jeden Tag Veranstaltungen statt, die in die kulturelle, soziale, gesellschaftliche, architektonische und lokale Vergangenheit eintauchen.

In diesem Jahr fügte das BBWA den historischen Betrachtungen einen Besuch im Wirtschaftsarchiv hinzu, der eine Führung über das Gelände der ehemaligen Waffen- und Munitionsfabriken am Eichborndamm folgte. Zunächst gaben BBWA-Geschäftsführer Björn Berghausen und BBWA-Archivar Raphael Hartisch Einblicke in die Arbeit des Wirtschaftsarchivs und in die Akten zu Reinickendorfer Unternehmen: neben Stahlbau Gossen und Hugo Achcehnich, deren Unternehmensarchive im Wirtschaftsarchiv lagen, fanden auch andere Firmen Erwähnung, zu denen es zum Teil umfangreiche Akten im IHK-Bestand gibt Die Teilnehmer staunten nicht schlecht, als in Minutenschnelle auch Akten zu Unternehmen der Väter oder Großmütter herausgesucht wurden. Überdies genossen sie das Privileg, ins Magazin des Wirtschaftsarchiv eintreten zu können, das den Nutzern üblicherweise verschlossen bleibt.

Werksgelände am Eichborndamm

Werksgelände am Eichborndamm

Waffen aus Wittenau

Anschließend ging die Führung über das Werksgelände der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken; in deren bauliche Zeugen der Industriekultur sind heute gleich drei Archive untergebracht: in der ehemaligen Kugellagerfabrik das Landesarchiv Berlin, in Schaftholzlager und Gewehrfertigung das Wirtschaftsarchiv und in den Hallen der Mauser-Werke die Deutsche Dienststelle (Wehrmachtsauskunftselle WASt).

Von 1907 bis 1918 nutzte die DWM die kriegsbedingte Sonderkonjunktur zum raschen Aufbau des Werkes, das durch Abbruch dieser Konjunktur und wegen des Versailler Vertrages anschließend wirtschaftlich ins Taumeln geriet. Erst mit der nationalsozialistischen Rüstungspolitik hatte das Wittenauer Werk wieder Konjunktur:

Führung auf dem Werksgelände der eh. DWM (Foto: BBWA)

Führung auf dem Werksgelände der eh. DWM (Foto: BBWA)

Es wurde Mitte der 1930er Jahre auf drei Unternehmen aufgeteilt: Im Süden produzierten weiterhin die Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, den mittlere Teil bezogen die Dürener Metallwerke, die hier Metalllegierungen und Aluminiumteile für u.a. den Luftschiffbau herstellten, den nördlichen Teil nutzten die Mauser-Werke. Das Werk verließen schon vor dem Zweiten Weltkrieg Pistolen und Revolver, Halterungen für Zielfernrohre, Infanteriemunition und später Flammenwerfer sowie weiterhin Geschosse und Patronen.

Zur Aufrechterhaltung der hohen Produktionsziele des Rüstungsbetriebs wurden ab 1941 auch Zwangsarbeiter aus der Ukraine eingesetzt, die zum Teil auf dem Werksgelände, zum Teil in Schönholz untergebracht waren.

Das Kriegsende kam für die Werke am 23. April 1945, als die Rote Armee in Wittenau einmarschierte. Nach Stilllegung und Demontage versuchte man bei den DWM den Neubeginn als Vereinigte Werkstätten Wittenau GmbH (VWW), ab 1952 wieder DWM – Deutsche Waggon- und Maschinenfabriken, die Gebrauchsgegenstände aus Restbeständen des Kriegsmaterials herstellte. Das Portfolio bei Mauser und Dürener Metall sah ähnlich aus. Die Umstellung auf Apparate, Halbzeug, Leichtmetall etc. machten die Mauser-Werke nicht mit. Sie gaben den Standort auf, und stattdessen zog die Deutsche Dienststelle WASt 1950 hier ein. Von nun an sahen die aufgeteilten und zum Teil veräußerten Produktionsstätten am Eichborndamm viele Mieter und viele Produkte – es wurden Klimamaschinen und Kühlschränke, Schuhputzmittel, allerlei Apparaturen, Blumenverkaufsautomaten, Waggons und Karosserien, Varta-Batterien, sogar der Amphicar und vieles mehr hergestellt. 1970 wurden die DWM aufgelöst, 1972 veräußerten die Dürener Metallwerke ihr Werk an die Kabelmetall AG.

Nach fast zwei Stunden endete der wirtschaftshistorische Teil der Historischen Woche – doch das BBWA freut sich schon auf das nächste Jahr. Dann könnte man beispielsweise die industrielle Entwicklung an der Oranienburger Straße, der Flottenstraße oder der Roedernalle ablaufen.

3 Kommentare

  1. Bernd Krag sagt

    Im Frühjahr 1937 plante Generaldirektor Werning von den Dürener Metallwerken Berlin dort einen Entwicklungsbetrieb für Leichtmetallprodukte zu errichten. Dabei ging es ihm nicht nur um militärische Produkte sondern auch um zivile Anwendungen, etwa im Automobilbau, Möbel, Leichtbaukonstruktionen für diverse Anwendungen und die Vermarktung von Duralumin. Dieser Entwicklungsbetrieb sollte in das In Berlin/Wittenau bereits bestehende Werk integriert werden.
    Betriebsführer wurde mein Vater J. R. Krag. Unter seiner Leitung entstanden Kleinserien von Leichtmetallteilen von diversen Auftraggebern sondern etliche Sonderanfertigungen für das Militär, wie transportable Funkmasten, ein transportables Fronttheater im Auftrag des Propagandaministeriums, 500 transportable Fahnenmasten, welche die Straßen vom Brandenburger Tor bis Bahnhof Heerstraße säumen sollten. Anlass war die Parade zu Hitlers 50. Geburtstag. Auch für die Luftfahrtfirmen wurden besonders komplizierte Bauteile entwickelt.
    Im November brannte dieser Entwicklungsbetrieb vollständig ab, und wurde auch nicht wieder neu aufgebaut. Über dieses Ereignis berichten die Firmenannalen der DMW, soweit im Internet zugänglich, nichts. Wer mir darüber etwas sagen kann, bitte ich um eine Mitteilung an meine E-Mail Adresse.

  2. Hilde Wessel sagt

    Die Deutsche Dienststelle (WASt) gehört nicht zur Bundeswehr. Sie ist eine Behörde des Landes Berlin und ist dem Landesamt für Gesundheit und Soziales zugeordnet. Da sie Bundesaufgaben wahr nimmt, wird sie im Haushalt der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geführt.

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