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Unserm Herrn Direktor Reinhold Wilcke

Glückwunschbriefe, Jubelkarten und vor allem Gratulationstelegramme erhielt Reinhold Wilcke zu seinem 75. Geburtstag am 23. Juli 1941, den er nur um zwei Wochen überlebte. Die Grußadressen, die nun mit Dokumenten und Fotografien dem Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv übergeben wurden, zeichnen das Bild eines „menschlichen Managers“, eines Geschäftsführers und Prokuristen, der bei der Belegschaft seines Unternehmens beliebt war und dem die leitenden Angestellten schon zum 52. Geburtstag 1918 ein kalligraphisches Kunstwerk überreichten – aber ohne Geschenk; stattdessen überwiesen sie eine Summe an das Kriegsblindenheim in der Bellevuestraße.

Wilcke war Direktor der Ferdinand Schuchhardt AG Berliner Fernsprech- und Telegraphenwerk. Das Unternehmen gilt als einer der ältesten Telefonproduzenten Deutschlands und wurde 1886 zunächst als Mechanische Werkstätten Schuchhardt & Maaß in der Oranienstraße gegründet. Das Unternehmen wechselte kurz darauf – nach der Trennung von Adolf Maaß – häufig die Fertigungsadresse, verlegte sich auf den Bau von Telegraphen und firmierte ab 1894 in der Rungestraße 9 in Berlins Mitte. Schuchhardt betreibt „Herstellung und Vertrieb, An- und Verkauf und Vermietung sowie die Ein- und Ausfuhr von Erzeugnissen der elektrotechnischen Industrie aller Art, insbesondere von Fernsprech-, Telegraphen-, Radio-, Radiotelegraphie- und ähnlichen Apparaten sowie die Ausnutzung von gewerblichen Schutzrechten auf dem entsprechenden Gebiet.“

Reinhold Wilcke (1866-1941) (BBWA)

Reinhold Wilcke (1866-1941) (BBWA)

Der Gründer Ferdinand Schuchhardt wird ab 1911 nicht mehr im Berliner Adressbuch geführt, das Unternehmen aber steuerte nach Überwindung der Nachkriegszeit neue Ufer an: Mit dem Kapital aus der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1921 begann der Neuanfang, ab 1923 wurden unter der Marke „Allradio“ auch Radios produziert. 1927 zog das Unternehmen um und war ab 1928 in der Köpenicker Straße 55 zu finden, nur 650 Meter Fußweg von der alten Adresse entfernt. Drei Höfe zeigt die Aufsicht des Gebäudes im Schmuckbalken der ausgegebenen Aktie. In derselben Zeit begann erheblicher Wettbewerbsdruck, der die Unternehmen zwang, rentabler zu werden, erfinderisch oder von großen Konkurrenten geschluckt zu werden.

Gemeinsam mit der Echophon Maschinen GmbH versuchte die Schuchhardt AG ein Diktiergerät zu entwickeln, das Dailyphon, aus dem zwar nichts wurde, das aber das Unternehmen in den Aktionsradius der Standard Elektrik AG brachte, Tochtergesellschaft des us-amerikanischen Mischkonzerns International Telephone & Telegraph Corporation (ITT). 1929 erwarb Standard Elektrik die Mehrheit der Schuchhardt-Aktien, die Radioproduktion wird eingestellt, 1932 die letzten Geräte ausgeliefert.

Werksgelände der Ferdinand Schuchhardt AG, Köpenicker Straße 55

Werksgelände der Ferdinand Schuchhardt AG, Köpenicker Straße 55

Zu dieser Zeit ging Direktor Wilcke in den Ruhestand und genoss die Ruhe seines Gartens in Steglitz, wo er sich mit dem Nachbarn darüber stritt, welches Haus als Hinterhaus des anderen zu bezeichne wäre. Der Ingenieur Wilcke blieb seinem Beruf als Berufung hingehen treu. Er, der 1906 für seine Verdienste auf der internationalen Ausstellung in Mailand ausgezeichnet worden war, stellte seine Kenntnisse in die Ausbildung des Nachwuchses und wirkte an der „Ingenieurschule Gauß“, Fachschule für feinmechanische Technik und Elektrotechnik“ und heute als „Beuth Hochschule für Technik“ bekannt, in der Prüfungskommission. Die Schule betont in ihrem Geburtstagsschreiben 1941, „mit welcher menschlichen Teilnahme an den Prüflingen und mit welch warmherzigem Verständnis für junge Menschen“ er sein Amt in der Prüfungskommission wahrgenommen habe. Er sei ein Vorbild dafür gewesen, „daß die erzieherischen Aufgaben des Lehrers sich nicht in der Vermittlung des rein technischen Wissens erschöpfen können.“ Wilcke starb am 8. August 1941 und erlebte die weitere Entwicklung seines Unternehmens nicht.

Schuchhardt schien im Kontext der anderen elektrotechnischen und -mechanischen Beteiligungsgesellschaften von ITT zu funktionieren. Die Echophon gehörte dazu, die C. Lorenz AG – später SEL Standard Elektrik Lorenz –, Mix & Genest und viel später auch Ehrich & Graetz. Schuchhardt erhielt in der Rüstungskonjunktur lukrative Aufträge. 1942 wurde für 58 Zwangsarbeiter unter anderem aus der Tschechoslowakei ein Barackenlager in der Lohmühlenstraße 1-5 eingerichtet. Bombentreffer zerstörten 1944 die Poduktionsstätten, die Fertigung zog übergangsweise in die Papestraße.

Nach dem Krieg kam der Betrieb nicht wieder auf. Die Köpenicker Straße 55 lag im Ostsektor der Stadt, doch wurde das Unternehmen nicht enteignet. Das mag ein Hinweis dafür sein, dass es nach dem Krieg nichts mehr zu enteignen gab. In den 1950er Jahren fehlen Spuren zum Unternehmen, und erst 1960 sichert ein Eintrag ins Handelsregister bei Mix & Genest die Firma und ihre Rechte: Der schon 1941 tätige Geschäftsführer Wilhelm Wannenmacher und sein Vorstandskollege Richard Fromm vertreten letztmalig die Ferdinand Schuchhardt AG.

Die Dokumente von Direktor Reinhold Wilcke wurden nun in die Bestandergänzende Sammlung des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs aufgenommen.

"Herrenparthie" der Ferdinand Schuchhardt AG 1899 (BBWA)

“Herrenparthie” der Fa. Ferdinand Schuchhardt 1899 (BBWA)

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